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Ist Milei ultra-konservativ, libertär oder rechtsextrem

„Der Staat ist eine kriminelle Organisation“

Thilo Schneider
Frisch gewählt: Der Libertäre Javier Milei wird Präsident von Argentinien.

Beim Frühstück sprang mir der heutige Aufmacher der tagesschau in die Augen: „Rechtspopulist Milei gewinnt Präsidentenwahl“. Das ist die gleiche Sendung, die am 31.10.2022 titelte: „Lula gewinnt Präsidentenwahl in Brasilien“. Ganz ohne die Zusätze „Linkspopulist“ oder „Steinzeitkommunist“. Es ist also eine gute Zeit, sich den finsteren Rechtspopulisten Mila, der so aussieht, wie man sich einen südamerikanischen Buschpiloten vorstellt, einmal anzusehen:

Geboren wurde Milei 1970 als Sohn einer Hausfrau und eines Busfahrers, seine eigene Kindheit beschreibt Milei als freudlos und gewalttätig, bis hin zu dem Fakt, dass er über ein Jahrzehnt deswegen nicht mit seinen Eltern sprach. Milei studierte an der Universität Belgrano Wirtschaftswissenschaften und hat Master-Abschlüsse am Instituto de Desarrollo Económico y Social (IDES) und an der Privatuniversität Torcuato di Tella. Milei war in wechselnden Führungspositionen bei einer privaten Rentenversicherung und einem Finanzberatungsunternehmen tätig. Er schrieb mehrere wirtschaftswissenschaftliche Bücher. Zu seiner Hauptlebenszeit arbeitete er in führender Position für Eduardo Eurnekian, den größten privaten Flughafenbetreiber weltweit. Es scheint also schon so, dass Milei sehr genau weiß, wovon er redet, wenn er über Wirtschaft und Ökonomie spricht.

„Ein schlimmer Mann“

Milei gilt als sehr direkt, rüde und als schwieriger Charakter. Aber vielleicht erträgt er auch nur die Dummheit seiner politischen Kontrahenten nicht. So bezeichnete er beispielsweise 2018 während einer Konferenz in der Stadt Metan die Journalistin Teresita Frias, die seine politischen Ansichten „totalitär“ genannt hatte, als „Eselin“. Nach seiner Weigerung, sich hierfür zu entschuldigen, wurde er wegen „geschlechtsspezifischer Gewalt“ angezeigt und durfte eine psychologische Untersuchung über sich ergehen lassen. Außerdem wurde ihm verboten, sich in Metan als Dozent oder Diskussionsteilnehmer zu betätigen. Ein schlimmer Mann also. Ein Mann, der mit Slogans wie „Ich bin nicht hierhergekommen, um Lämmer zu führen, sondern um Löwen zu wecken“ durch die Lande zieht. Weitere Kostproben seiner Zitate? „Ich bin hier, um die Kriminellen rauszuschmeißen“ oder, im September 2021 auf Youtube: „Das Erste, was ich der beschissenen, albernen, parasitären und nutzlosen politischen Kaste sagen werde, ist, was ich nicht tun werde. Ich werde niemals gegen das Privateigentum vorgehen, ich werde niemals gegen die Freiheit vorgehen, ich werde niemals eine Steuer erheben, ich werde niemals neue Steuern einführen.“

Milei hat zwar eine brachiale Rhetorik, trotzdem oder deswegen war bei den unter 30-Jährigen beliebt, die sich ihn und seine Partei als dritte Kraft in Argentinien vorstellen konnten. Ganze 17 % konnten sich ihn als Präsidenten vorstellen. Und, ganz nebenbei: Sein Einkommen als Abgeordneter verloste er jeden Monat an eine zufällig ausgewählte Person, um, wörtlich, „den Bürgern Geld zurückzugeben“. Weiter: „Der Staat ist eine kriminelle Organisation, die sich durch Steuern finanziert, die den Menschen mit Gewalt auferlegt werden. Wir geben das Geld zurück, das die politische Kaste gestohlen hat.“ So etwas kommt im armen Argentinien gut an, Milei geriert sich als „Anti-Establishment“ und „Mann des Volkes“, der er in gewissen Kreisen tatsächlich ja auch ist. Er ist eine Gefahr für die, die er als „Establishment“ bezeichnet. Nur: Hört sich so ein „Rechtspopulist“ an? Oder ein waschechter Liberaler?

Rechts oder liberal?

Milei ist wohl beides: Was aber will der Mann, dass er so ein schlimmer „Rechtspopulist“ ist? Milei lehnt Abtreibungen kategorisch ab. Selbst nach einer Vergewaltigung. Hier also ist er tatsächlich ultra-konservativ. Allerdings hat er dann wieder sehr liberale Ansichten beispielsweise zu Homosexualität: „Wenn du dich entscheidest, homosexuell zu sein, wie wirkt sich das auf mein Leben aus? Überhaupt nicht. Meine Freiheit? Überhaupt nicht. Meine Immobilie? Überhaupt nicht. Deshalb habe ich nichts (dazu) zu sagen.“ Für Milei ist die homosexuelle Ehe gar kein Problem: Er sieht sie nicht als Institution, sondern als zivilrechtlichen Vertrag zwischen zwei Personen.  Auch zu Transgender hat er eine interessante Meinung: Das Thema ist ihm schlichtweg egal, „solange ich nicht die Rechnung dafür bezahlen muss.“ Ist das „rechts“? Oder vielmehr liberal? Den Klimawandel betrachtet er als „Täuschung, die von Neo-Marxisten promotet wird.“ Kann man machen, das macht ihn aber zum Feind der tagesschau. Es wird ihm egal sein.

Als Liberaler lehnt er Eingriffe des Staates ab, den er in Argentinien als „korrupte Bande von Verbrechern“ betrachtet. Die Kernaufgaben des Staates möchte er auf Sicherheit und Recht beschränkt sehen. Sein Hauptgegner ist aber die argentinische Zentralbank, die er als „einen der größten Diebe in der Menschheitsgeschichte“ bezeichnet. Er wirft ihr vor, durch die Inflation den Bürgern Geld zu stehlen. Seine Idee ist die Abschaffung des Pesos und die Einführung des US-Dollars als Währung, ein in Argentinien sehr spannendes Experiment.

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Klaus Kelle, Chefredakteur