Die Endphase der russischen Strategie – kann so ein Plan nach Jahrzehnten wirklich greifen?
Sechs Monate bevor die russischen Panzer 1968 in die CSSR einfielen, um dem Prager Frühling ein Ende zu machen, floh der tschechische General Jan Sejna in den Westen. Als ranghöchster Politkommissar im Verteidigungsministerium hatte Sejna zuvor direkten Kontakt zur sowjetischen Führungsriege um Leonid Breschnew gehabt, und zehn Jahre lang waren alle Direktiven, die der Kreml an seine Prager Vasallen ausgab, durch seine Hände gegangen.
Sejna hatte somit Einblick in die geheimen Planungen des Ostblocks und dieses Wissen machte er erstmals im Sommer 1975 öffentlich.
In einer Artikelserie in der britischen Zeitung The London Times enthüllte Sejna, dass Moskau eine Langzeitstrategie verfolge, die über mehrere Jahrzehnte hinweg den Niedergang der westlichen Nationen und den Sturz der USA als Weltmacht anstrebe. Diese Strategie sei aufgeteilt in vier aufeinanderfolgende Phasen, deren erste bis ins Jahr 1956 zurückreiche und deren zweite mit der aufkommenden Studentenrevolte gerade erst Wirkung zu zeigen begann.
Die Entwicklungen, die Sejna in dieser Artikelserie und in seinem 1982 erschienenen Buch für die Phasen drei und vier beschrieb, lagen damals noch in der Zukunft und waren für uneingeweihte Beobachter keinesfalls absehbar. Zu einer Zeit, als das Wettrüsten in Europa mit der Aufstellung sowjetischer SS-20-Raketen auf seinen Höhepunkt zustrebte, kündigte Sejna eine kommende Liberalisierung im Ostblock an mit einer umfassenden Abrüstung, die ihren Höhepunkt in der inszenierten Auflösung des Warschauer Pakts finden würde. Damit ziele der Kreml darauf ab, im Gegenzug die tatsächliche Auflösung der NATO zu erreichen. Anschließend werde eine Phase der vorgetäuschten Partnerschaft zwischen Ost und West folgen, die dem Osten Zugang zu westlicher Technologie und westlichem Kapital bringen würde, während gleichzeitig Einflussagenten, welche die Sowjets in den Medien und der Politik der westlichen Welt platzierten, die bereits begonnene gesellschaftliche Zersetzung der bürgerlichen Staaten weiter vorantreiben würden.
Ein ausdrückliches Ziel dabei war die Verbreitung von Antiamerikanismus in Europa, um dadurch die Bereitschaft der Amerikaner zu reduzieren, Europa im Kriegsfall zu verteidigen.
Die sowjetische Strategie umfasste auch wirtschaftliche Kriegsführung. So verfolgte der Ostblock etwa die Absicht, Exportgüter sogar zu unprofitablen Bedingungen zu produzieren, um damit einerseits westliche Produkte vom Weltmarkt zu verdrängen und andererseits den wirtschaftlichen und politischen Einfluss des Ostens zu vergrößern – eine Absicht, die in den vergangenen Jahrzehnten vor allem von China sehr erfolgreich verfolgt wurde. Es würde den Rahmen dieses Artikels sprengen, die einzelnen Ziele der Phasen eins bis drei im Detail zu erläutern. Interessierte Leser seien an meine Bücher verwiesen.
Im Folgenden sollen lediglich die weiteren Entwicklungen der laufenden Strategie grob skizziert werden, denn das Ultimatum Moskaus an die NATO vom Dezember 2021 und der darauf folgende russische Überfall auf die Ukraine zeigen unmissverständlich, dass die sowjetische Strategie mittlerweile in ihre Endphase eingetreten ist. An diesem Punkt würde der Kreml, wie Sejna vorwegnahm, „lokale und regionale Kriege in Europa“ entfachen um damit moskauhörige Regime an die Macht zu bringen und schließlich zu einer Politik der Konfrontation gegen die westliche Welt zurückkehren.
Gemäß der sowjetischen Planung wären die Streitkräfte der europäischen Staaten bis zu dieser Zeit auf ein völlig ineffektives Niveau reduziert worden, während sich die USA bereits weitgehend aus der Verteidigung Europas zurückgezogen hätten, um sich stattdessen auf eine isolationistische Politik zu konzentrieren. Die Abkoppelung der USA sowohl von Europa als auch von den Entwicklungsländern hätte zur Folge, dass sie anfällig würden für die Sabotage ihrer Wirtschaft, welche die Sowjets durch den Einsatz sogenannter „externer wirtschaftlicher Waffen“ zum Kollaps bringen wollten. Dazu zählte unter anderem die Unterbrechung der Rohstoff- und Energieversorgung, insbesondere der Erdöllieferungen aus dem arabischen Raum.
Zu dieser Zeit würde Moskau planmäßig ein neues Wettrüsten beginnen, das im Zusammenspiel mit der kollabierenden westlichen Wirtschaft zu einer massiven Verschiebung des internationalen Kräftegleichgewichts führen würde, was schließlich die überwältigende wirtschaftliche und militärische Überlegenheit des Ostblocks zur Folge hätte. Die sozialen Auswirkungen dieser Wirtschaftskrise und die wachsende atomare Bedrohung würden in immer mehr Staaten der westlichen Welt den Aufstieg moskauhöriger Demagogen bewirken, die ihre Nationen letztlich dem Diktat des Ostblocks unterwerfen würden.
Sejna überlieferte in seinem Buch eine Aussage des sowjetischen ZK-Sekretärs Konstantin Katuschew, der 1967 etwas gesagt hatte, das inzwischen für die gesamte westliche Welt gilt: „Wenn wir den USA die in unserem Plan vorgesehenen externen Beschränkungen auferlegen und die amerikanische Wirtschaft ernsthaft schädigen können, dann werden die Arbeiter und die unteren Mittelschichten die Konsequenzen erleiden und sich gegen die Gesellschaft wenden, die für sie gescheitert ist. Sie werden bereit sein für die Revolution.“
Torsten Mann, Jahrgang 1976, ist politischer Publizist (Weltoktober, Rote Lügen in grünem Gewand, Am Vorabend der Weltrevolution). Er vertritt die These, dass der Kommunismus zu Beginn der 1990er Jahre nicht untergegangen ist, sondern unter Beibehaltung seiner Ziele lediglich eine planmäßige Umgestaltung seiner Methoden vorgenommen hat. Er betreibt die Webseite www.weltoktober.de
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Klaus Kelle, Chefredakteur