Diplomatisch klug war Steinmeiers Ausladung durch die Ukraine nicht
von THILO SCHNEIDER
BERLIN – So, das wars. Der Bundespräsident, der lieber „Brückenbauer“ gewesen wäre, an die die Brückengeher „nicht geglaubt haben“, darf nicht nach Kiew und dort mit gequältem Gesichtsausdruck verkünden, bei wem „seine Gedanken sind“, was er „mit Abscheu und Empörung“ beurteilt und „ein starkes Zeichen der Solidarität“ setzen. Sehr ärgerlich.
Wen hat Selenskij oder Selenkji oder Selensky oder Selenskyi da eigentlich ausgeladen, den er gar nicht eingeladen hat? Den Bundespräsidenten? Oder den Frank-Walter Steinmeier? Den Repräsentanten Deutschlands oder den größten Fan von „Feine Fahne Fischfilet“?
Die Empörung über die Ausladung erschüttert natürlich Deutschland quer durch die sozialen Medien bis in die D-Mark. Die Kommentare reichen von „so what“ bis hin zu „jetzt kriegen die Ukrainer gar nix mehr!“ Die SPD ist verstimmt, die AfD sogar empört und die FDP irgendwie beides. Von den Grünen weiß man es nicht, die suchen eine Familienministerin.
Erinnern wir uns aber, es ist ja auch nicht so lange her: Am 17. März war der ukrainische Präsident live dem Bundestag zugeschaltet und hielt eine emotionale Rede. Die anschließende Verlesung von Geburtstagsglückwünschen durch die Bundestagspräsidentin hatte böse etwas von „Okay. Nice. Und jetzt zum Wetter“. Ja, ich verstehe, dass Selensdings da angefressen ist und lieber Patronen- als Worthülsen haben will. Und auch lieber mit dem Koch als dem Kellner diskutieren möchte.
Diplomatisch klug war die Ausladung des Bundessteinmeiers allerdings nicht. Die Vorbehalte gegen die ukrainische Führung – vor allem auch wegen des, freundlich ausgedrückt, „erratischen diplomatischen Geschicks“ des ukrainischen Botschafters Melnyk (von dem weiß man, wie er sich schreibt) wachsen derzeit in der deutschen Bevölkerung und egal, ob nun der Bundespräsident oder der Frank-Walter ausgeladen wurden: Die Ukraine will etwas von Deutschland – nicht umgekehrt. Ich finde es auch während eines Krieges nicht wirklich clever, meinen größten Geldgeber (den der ist Deutschland gegenüber der Ukraine nun einmal) zu verärgern.
Selenskyj (ich übernehme die Schreibweise der Tagesshow) hat auch gleich klar gemacht, dass er lieber mit dem Bundesscholzler als mit dem Frank-Walter reden möchte, weil dieser schlicht Richtlinienkompetenz statt eines zweifelhaften Musikgeschmacks hat und über die Realisierung ukrainischer Wunschzettel entscheiden kann. Natürlich ist es Scholz unmöglich, jetzt in die Ukraine zu reisen, ohne sein eigenes fahles Staatsoberhaupt zu entblößen, von daher war die Ausladung des Präsidenten der Herzen ein Wortgranatenwurf ins eigene leere Kontor.
Neben verletzten Eitelkeiten und der eigenen verzweifelten Lage (egal, was der britische Geheimdienst behauptet – es läuft für die Ukraine derzeit eher so mittel) scheint es daneben auch so zu sein, dass weder die ukrainische, noch die deutsche Regierung so richtig wissen, was denn nun an militärischem Material konkret gebraucht wird und wo und wie es herkommen soll. Es scheint die naive Vorstellung zu herrschen, man könne ein paar ausgemusterte Marder und Leopard 1 auf Güterzüge packen und nach Kiew (oder „Kyiv“, wie es neuerdings genannt werden soll) rollen lassen. Quer durch die Ukraine und ohne, dass die russische Armee dagegen massiv Einwände erhebt. Und sobald das schwere Material da vom Waggon gerollt ist, einfach vier Leute ´reinsetzen und los geht „Kursk 2.0“. Heissa und bassateremtemtem.
Gute Güte, ich weiß, wie lange wir an Handgranaten herumgespielt haben, bis die erste dann auch fliegen durfte, wie viel schwieriger und komplexer dürfte da die Bedienung eines, wenn auch schon sehr betagten, Leopardpanzer mit deutscher Beschriftung und Bedienungsanleitung sein? Das Ganze ist kein Computerspiel, in dem hinter dem nächsten Dorfanger plötzlich wieder Munition und Ersatzteile und gegebenenfalls Besatzungsmitglieder „aufploppen“, über die man einfach drüberfährt und alles wieder gut ist. Einmal von der Tatsache abgesehen, dass die Leopard 1 schon mindestens ungute 40 Jahre auf dem Tankbuckel haben. Das ist ähnlich, als hätte sich Polen 1939 gegen die Wehrmacht mit Kavallerie verteidigen wollen. Aber bitte – dann stellt ihnen eben Marder ohne Ketten, Leos ohne elektronisches Zielvisier und Besatzungen ohne Ahnung auf den Majdan. Kann man machen – wenn man Zeit hat.
Und keine Feindeinwirkung. Die Folgen reichen ja noch viel tiefer: Neben der Tatsache, dass wir eigentlich nur unseren eigenen Schrott in die Ukraine liefern können (weil wir selbst zu wenig Waffen haben), könnte es durchaus sein, dass dies von Russland als „aktiver Kriegseinsatz“ gesehen wird. Erst recht, wenn neben den Panzern auch entsprechendes Ausbildungspersonal in Form von Soldaten „geliefert“ wird – oder die künftigen „Helden der Ukraine“ in Polen ausgebildet würden. Sicher, formaljuristisch völkerrechtlich machen Waffenlieferungen den Lieferanten nicht automatisch zur Kriegspartei – allerdings überfällt man formaljuristisch völkerrechtlich auch keinen Nachbarstaat. Es sieht also nicht so aus, als würde sich Putin mit feingeistig-filigranen moralisch-völkerrechtlichen Fragen eingehend befassen.
Und dann noch dies: Nehmen wir eine Sekunde an, es klappt. Die Ukraine kriegen unsere Lowtech-Panzer aus den Seventies in den Griff, die Räder rollen für den Sieg und sie jagen die Russen aus dem Land. Wer garantiert denn, dass die ukrainische Armee am Schlagbaum halt macht und nicht bis Moskau durchfährt, weil der Tank noch voll ist? Dann hätten wir von „Waffen zur Verteidigung“ „Waffen zur Eroberung“ gesendet. Nicht schön. Oder doch? Und wie wird dann die ukrainische Armee reagieren, wenn sie diesmal in den russischen Dörfern nicht mit Blumen, sondern Molotow-Cocktails begrüßt wird?
„Die Ukraine verteidigt auch unsere Werte“. Ach ja? Dass es zu diesen Werten gehört, angebliche Plünderer ohne Prozess an Laternenpfähle zu tapen und quasi an den Pranger zu stellen, wäre mir neu. Die Ukraine verteidigt sich selbst gegen einen Aggressor. Nicht weniger. Aber auch nicht mehr. Meiner Ansicht nach muss alles vermieden werden, was Deutschland oder die NATO zur Kriegspartei machen würde. Die „rote Linie“ verläuft entlang der polnischen Grenze und denen der baltischen Staaten. Nirgendwo sonst.
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Klaus Kelle, Chefredakteur