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Ein „echter Gewinn“ für Rostock? Das ist der Hansestadt erspart geblieben…

Grüne Bundestagsabgeordnete Claudia Müller aus Rostock.

von THILO SCHNEIDER

ROSTOCK – Sonntag war ein besonderer Wahltag. Aber nur in Rostock. Da wurde ein neues Bürgermeisterndes gewählt, um die Bürger:innenmeister:in zu verhindern. Der bisherige, recht beliebte, parteilose Oberbürgermeister Claus Ruhe Madsen wechselt als Wirtschaftsminister nach Schleswig Holstein, das ja in der Nachbarschaft liegt. Insgesamt 17 Kandidaten tummelten sich um Amt und Wähler oder Wähler:innen oder Wählende. Neben Scherzkeksinnen wie Rebecca Thoß von der „Deutschen Biertrinkerinnenunion („Ich halte keine Versprechen, ich halte den Pegel“) und Ironikern (wie dem Rollstuhlfahrer Matthias Breier, der unter dem Motto „Ich laufe Ihnen nicht davon“ Plakate in Hüfthöhe hängen dürfte) trat für die Grünen Claudia Müller an.

Ricarda Lang freut sich schon zu früh auf Twitter: „Hallo Rostock, heute könnt ihr eure Stimme an Claudia Müller geben. Als Oberbürgermeisterin wäre sie ein echter Gewinn für die ganze Stadt – für eine starke (maritime) Wirtschaft und für den sozialen Zusammenhalt.“

Jawohl. Omnid Nouripour pflichtet tapfer bei: „Liebe Bürgerinnen und Bürger aus Rostock, heute entscheiden sie über die Zukunft ihrer Stadt. Claudia Müller ist dafür die Richtige. Mit ihr bekommt die Stadt eine Oberbürgermeisterin, die Antworten auf die Herausforderungen unserer Zeit hat.“

Und auch Frau Goering-Eckhardt ist mit im Team: „Heute wird in Rostock gewählt. Eine gute Chance, Claudia Müller Eure Stimme zu geben. Sie als Oberbürgermeisterin wäre ein echter Gewinn.“

Ich habe mir den möglichen Hauptgewinn für die ohnehin gebeutelten Rostocker einmal näher angesehen: Claudia Müller ist 1981 in Rostock geboren. 1998 war sie – obacht – als Austauschschülerin in den USA, aber die Amerikaner haben sie zurückgegeben. Gegen wen sie ausgetauscht wurde, ist nicht bekannt. 2002 hat sie ihr Abitur gemacht, immerhin. Danach hat sie bis 2007 an der Fachhochschule in Stralsund „Baltic management studies“ studiert und abgeschlossen. Was bemerkenswert für eine Grüne ist.

Seit 2000 war sie freiberufliche Reiseleiterin (hat, mit anderen Worten, gejobbt), 2008 hat sie sich als „medienpädagogische Projektentwicklerin für die Identity Films Medienwerkstatt“ beschäftigt, was sich für mich nach einem bezahlten Laberposten bei „irgendwas mit Medien“ klingt. 2011 war sie 14 Monate „als Elternzeitvertretung die Geschäftsführerin der Stralsunder Bürgerschaftsfraktion Forum Kommunalpolitik“.

Meine Damen und Herren und Unentschlossenen: Was muss man für einen Oberbürgermeister-Posten einer derangierten 200.000 Einwohner-Stadt denn NOCH für Qualifikationen haben, um „ein echter Gewinn“ zu sein? Das war die Beste, die in Rostock für die Grünen zu finden war? Ich will mich nicht beschweren, ich habe nur knapp zwei Jahre in Rostock gelebt und fand Stadt und Menschen großartig, manche haben sogar gelegentlich mit mir geredet – aber haben die Rostocker:innen und – :außen das wirklich verdient? Außer, dass Frau Müller außer einem abgeschlossenen Studium, zwei Kindern und ein paar grüntypisch öffentlich alimentierten Druckposten tatsächlich nichts zu bieten hat, was in irgendeiner Weise für die Oberbürgermeisterschluckinnenposition einer geschichtsträchtigen Hansestadt qualifizieren würde, ist ihr Lebenslauf für eine führende Grüne nur insofern atypisch, dass sie wohl ein abgeschlossenes Studium, wenngleich in einem Randfach, hat. Einmal mehr ist hier nichts. Nur diverse Funktionen als Parteikader hat sie dann noch blockiert.

Nein, da lobe ich mir im Vergleich beispielsweise den parteilosen Niels Burmeister, der immerhin gelernter Koch und Industriekaufmann und Geschäftsführer einer Rostocker Kulturbühne ist. Den hat die Not zur Kandidatur gezwungen, denn er will, dass in Rostock „nicht zu Lasten der Kultur gespart wird“. Der Mann weiß, wenn die Hauptgewinnerin ins Rathaus einzieht, dann fliegt der Kopf in der Kultur, da Rostock nun einmal konsequent klamm ist und irgendwo sparen muss.

Oder Jörg Kibellus, der von seiner SPD zugunsten einer Frau verlassen wurde und als Einzelkandidat antritt. Der ist von Beruf Bezirksschornsteinfeger und hat so zumindest tatsächlich Einblick in die Rostocker Energieanlagen.

Den beiden letztgenannten und noch einigen anderen der insgesamt 17 Kandidaten traute ich mehr Praxis, Empathie und Fähigkeit zu, die schlingernde Rostocker Kogge doch noch auf Fahrt zu bringen als einer Labertante mit Mikrogrünhintergrund, deren Lebensleistung unter dem Strich darin besteht, zwei Kinder in die Welt gesetzt zu haben.

Wäre ich Rostocker, hätte ich wohl allein schon aus Protest die Dauerbesoffene von der Biertrinkerinnenunion gewählt. Das Rostocker Bier ist gar nicht so schlecht und eine herumoberbürgermeisterinnende, dauergendernde Claudia Müller dürfte eh nur in betrunkenem Zustand zu ertragen sein. Na dann Prost! Nich lang schnacken, ab in´n Nacken.

Addendum: Ungefähr 10 Minuten, nachdem die Satireseite „QuarkDDR“ einen Wikipedia-Lebenslauf der Aspirantin unter vier der auf Twitter lobhudelnden Grünen-Spitze gepostet hatte, wurde der Wikipedia-Eintrag von „studierte Baltic Management Studies“ auf „studierte Baltic Management Studies MIT ABSCHLUSS“ geändert.

Die Wahlen sind vorbei, die Rostocker haben den „Hauptgewinn“ mit Platz 4 und 8,6% abgelehnt. In den Arbeiterbezirken landete Frau Müller sogar auf den Plätzen 6,7 und 8.

Übrigens ist eine Wahl mit 17 Bewerbern eine klasse Sache: Sie zeugt von dem unbedingten Willen zur Demokratie. Denn selbst die letzte der 17 Bewerbern hat mit jeder der 155 Stimmen für sich dafür gesorgt, dass andere diese Stimmen nicht bekommen. So geht das, in einer Demokratie.

P.S. Die Wahl des Rostocker Oberbürgermeisters wird am 27. November in der Stichwahl zwischen der Linke-Politikerin Eva-Maria Kröger und den von CDU und FDP gestützten parteilosen Michael Ebert entschieden.

(Weitere Wahlbeobachtungen des Autors unter www.politticker.de)

Von Thilo Schneider ist in der Achgut-Edition erschienen: The Dark Side of the Mittelschicht, Achgut-Edition, 224 Seiten, 22 Euro.

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Klaus Kelle, Chefredakteur