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Kirchenpolitik war nicht Benedikts Sache

„Ein Gigant der Theologie“: Warum ich Papst Benedikt heute um Verzeihung bitte möchte

Weltwieit trauern gläubige Christen um einen Giganten der Theologie: Papst Benedikt XVI. Foto: Federico Gambarini/dpa

von FELIX HONEKAMP

ROM – Als Kardinal Joseph Ratzinger 2005 vom Konklave zum neuen Papst gewählt wurde, war meine Einstellung ihm gegenüber noch ausgeprägt negativ. „Wir sind Papst“ habe ich damals nicht verstanden: Wie können „die im Vatikan“ nach dem altersschwachen Johannes Paul II. wieder einen so alten, dazu noch so verstockten Papst wählen? Kurz darauf waren auch die medialen und politischen Kritiker zur Stelle: Ein „Panzerkardinal“ sei er gewesen, der Großinquisitor des Papstes.

Mancher versuchte ihm, dem 1927 geborenen, der gegen Kriegsende als junger Mann zum Flakhelfer zwangsverpflichtet wurde und angesichts der aussichtslosen Kriegssituation von der Fahne ging, den Status des Alt-Nazis anzuheften. Im Grund der „Rottweiler Gottes“ – eine Bezeichnung, die auch ich mir für ihn damals zu eigen gemacht habe – ohne zu wissen, worüber ich rede und wofür ich Papst Benedikt heute nur um Vergebung bitten kann.

Dumm war ich damals, und auch wenn ich heute vielleicht nicht intelligenter geworden bin, möchte ich mir doch anheften, mit Blick auf Benedikt XVI. hinzugelernt zu haben. Mein eigener Glaubensweg zurück in die katholische Kirche nahm 2006/2007 seinen Anfang, und ich war schnell beeindruckt von der geistlichen Leistung dieses Gelehrten. Gleichzeitig setzte meine „mediale Bewusstwerdung“ ein, und je öfter ich die Anklagen gegen den Papst und seine Verlautbarungen las, umso mehr wuchsen die Zweifel: Stimmt das alles, was über ihn gesagt wird? Und je mehr ich mich mit seinem Leben, seinen Schriften und dann auch mit seinen aktuellen Ansprachen, Betrachtungen und Predigten beschäftigt habe, umso mehr wurde mir klar: Nichts, was die linken Medien über ihn berichten, wird diesem Giganten der Theologie gerecht!

Seine Bücher und Schriften sind ein Zeugnis sowohl des Glaubens als auch der Vernunft

Zeit seines Lebens war es ihm ein Anliegen, der Welt die Komplementarität dieser beiden Ansätze nahezubringen, von denen der eine nicht ohne den anderen bestehen kann. Seine Worte, gesprochen oder geschrieben, strotzen vor Liebe zu Gott und vor Liebe zu den Menschen, deren Seelenheil ihm mehr als alles andere am Herzen lag. Wenn er „der Welt“ widersprach, dann nicht aus Altersstarrsinn oder aus Sorge um die „Institution Kirche“ (deretwegen manch anderer Kirchenvertreter vor dem Zeitgeist einknickt), sondern aus wahrer, ich möchte sagen väterlicher Liebe, die es kaum ertragen kann, wenn die Kinder in die Irre gehen.

An anderer Stelle habe ich mal geschrieben: „Ratzinger/Benedikt muss man aufrecht sitzend lesen“, womit ich auf die geistliche Brillanz aufmerksam machen wollte, die seine Schriften auszeichnen. Eines seiner Standardwerke, die „Einführung in das Christentum“, ist kein verquastes Theologenpamphlet, dass unlesbar wäre, aber es fordert geistig und geistlich heraus. Dem muss sich stellen, wer den Papst und Theologen zu verstehen versucht. Gleichzeitigt vermochte Benedikt es aber auch, theologisch schwierige Zusammenhänge adressatengerecht zu formulieren, ohne an ihrem Inhalt Abstriche zu machen. Auf seinen zahlreichen Reisen schaffte er es, sowohl Bischöfe und Theologen intellektuell herauszufordern als auch Kindern die Liebe zu Gott auf ihnen gerechte Weise nahezubringen. Wie überraschend muss für viele seine erste Enzyklika „Deus Caritas Est – Gott Ist die Liebe“ gekommen sein. Statt einer sündhaften Welt die Leviten zu lesen, legte er in unnachahmlichen Worten die Liebe Gottes dar, die auch dann nicht aufhört, wenn wir uns gegen ihn wenden.

Kirchenpolitik war nicht Benedikts Sache

Und wenn er von „Entweltlichung“ sprach, was viele Kritiker als „Weltflucht“ übersetzten, machte er klar, dass unsere Maßstäbe nicht die der Welt sondern die Gottes sein müssen. Womöglich ist er als Papst in dieser Hinsicht gescheitert; dem Sog der Politik konnte er sich nicht entziehen. Trotz all seiner Bemühungen zur Aufklärung im Rahmen des weltweiten Missbrauchsskandals, der Ahndung der damit verbundenen Verbrechen und ihrer zukünftigen Verhinderung, trotz seiner Versuche, den Apparat Kirche geistlich neu aufzustellen, hat er einsehen müssen, dass seine Gesundheit und Kraft nicht ausreichten, dieses Minenfeld in ausreichender Intensität zu bearbeiten. Sein Verzicht auf das Papstamt ist insofern, auch wenn sicher vielschichtiger als das, nachvollziehbar.

Weder die Welt noch die Kirche haben es ihm am Ende – jedenfalls von „offizieller Seite“ – gedankt. Und doch wird Papst Benedikt XVI. heute mit dem Heiligen Paulus sagen dürfen (wenn er es vermutlich auch mit Blick auf den Völkerapostel demütig nicht tun würde): „Ich habe den guten Kampf gekämpft, den Lauf vollendet, die Treue bewahrt.“ (2. Timotheus 4,7).

Heute werden – neben den Kritikern, die nicht einmal bis nach seiner Beerdigung warten konnten, um sich auf seine Kosten zu etablieren – Stimmen nach einem „Santo Subito“ laut, einer möglichst schnellen Heiligsprechung wie man sie bei Papst Johannes Paul II. gefordert und erreicht hat. Auch das ist aber in nicht wenigen Fällen Kirchenpolitik, auf die Joseph Ratzinger milde lächelnd schauen wird. Die Einschätzung, ob er heilig war, steht mir nicht zu, wenn ich auch überzeugt bin, dass wir mit Joseph Ratzinger ein heiligmäßiges Leben betrachten durften. Ich selbst aber – bei aller Zuversicht, dass Benedikts Freude vollkommen sein möge, wenn er nun die Stimme Jesu, des Bräutigams, endgültig und für immer hören wird (wie es Papst Franziskus beim Begräbnis formulierte) – trauere um eine Vaterfigur der Kirche. Gott sei Dank hat er uns ein reichhaltiges Erbe hinterlassen, dass wir nun, einem Geschenk Gottes gleich, aufgefordert sind, zu entdecken. Die Herausforderung wird sein, ihm nicht wieder zu kurz zu tun, sondern die tiefe Liebe zu Gott in den Worten des „Mozarts der Theologie“ zu entdecken.

Danke Benedikt, danke Joseph Ratzinger!

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Klaus Kelle, Chefredakteur