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Russland steckt in einem Dilemma

Es gibt keinen Grund für die Ukraine den Kampf aufzugeben

KLAUS KELLE

Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine tobt mit unverminderter Härte. Hunderttausende haben auf beiden Seiten ihr Leben verloren, Hunderttausende wurden verletzt, verkrüppelt. Ukrainische Städte werden in Grund und Boden bombardiert. Rücksicht auf die Zivilbevölkerung? Vergessen Sie’s! An solcher westlicher Gefühlsduselei hat man im Kreml kein Interesse. Präsident Putin kennt nur Sieg oder Demütigung.

Anders als seine Armee leisten die russischen Internettrolle ganze Arbeit dabei, die Bevölkerung westlicher Staaten mit Desinformationen Tag für Tag zuzumüllen. Im Mittelpunkt in Europa steht dabei Deutschland, der alte Erzfeind. Deutschland hat sich lange geziert, über reine Worthülsen hinaus der bedrängten Ukraine zu helfen. Bis heute.

Deutsche haben die Wehrhaftigkeit verlernt

Klar, wir haben eine Million Kriegsflüchtlinge aufgenommen, das ist eine beachtliche Leistung. Aber dass ein Staat wehrhaft sein muss, fähig zur Verteidigung und – ja – auch zum militärischen Beistand für andere, das haben wir Deutschen, die meisten von uns, verlernt. Nie wieder Krieg, das klingt gut. Da stimmen wir alle aus vollem Herzen zu. Aber die oft gehörte Auffassung im Internet, wenn die Ukraine sich doch bloß endlich ergäbe, dann werde alles gut. Frieden schaffen ohne Waffen, was ist das für eine naive Illusion?

Hätten die Amerikaner, die Briten und Kanadier 1944 so gedacht, dann würden wir in einem Land leben, wo wir morgens vor der Arbeit zum Fahnenappell antreten müssen und uns mit „Heil Irgendwas“ grüßen auf der Straße. Aber sie haben es nicht, sie haben Zehntausende ihrer Jungen über den Ärmelkanal an den Stränden der Normandie abgesetzt. Wollten die jungen Männer da im Kugelhagel der Deutschen hochstürmen? Ganz sicher nicht. Wollten die Eltern in Ohio, Nevada und Ontario ihre Kinder auf dieses Himmelfahrtskommando losschicken, um Europa von der Hitler-Barbara zu befreien? Wohl die wenigsten. Aber sie haben das Richtige getan und viele ließen ihr Leben dafür.

Und wir alle sind die Nutznießer des Opfers dieser wahren Helden

Auch die, die immer noch denken, man müsse dem russischen Bären nur geben, was seinen Hunger stillt, dann höre es auf mit dem Krieg. Wie naiv kann man bloß sein?

Es ist richtig, dass der Westen und damit auch wir Deutschen, die Ukraine in ihrem Kampf um die Freiheit unterstützen. Wir waren zu zögerlich, vielleicht viele zu feige. Aber wenn wir die Ukraine opfern, dann wird Russland weitermarschieren. Und deshalb darf die Ukraine nicht fallen.

Die Phantasie der Putin-Fans treibt Blüten – gesteuert aus dem Kreml

Putin-Fans schreiben sich jeden Tag in den Netzwerken die Finger wund, um den Kremlchef zu preisen. Sie erzählen abenteuerliche Geschichten vom „Putsch auf dem Maidan“, von Schmuckkäufen der Präsidentengattin während des Krieges und von Wolodymyr Selenskyj, der angeblich jeden Morgen im Taschengeldspeicher badet wie einst Donald Duck. Belegt ist nichts davon, verbreitet wird jede Lächerlichkeit aus Trollfabriken in St. Petersburg. Und bezahlte Einflussagenten russischer Geheimdienste verbreiten diese teilweise albernen Geschichten nach Kräften.

Im Grund habe Russland ja längst gewonnen, wird kolportiert. Die Bilder weniger „Eroberungen“ zeigen aber keine besetzten Städte, sie zeigen Trümmer und Ruinen, Menschenleer. Russland erobert nichts, Russland zerstört, tötet und vergewaltigt.

In den Monaten rund um den Jahreswechsel wurde das Netz überflutet mit der immer wiederholten Geschichte von der ukrainischen Gegenoffensive, die ihre Ziele nicht erreicht hat. Und das ist leider wahr. Die Waffenhilfe aus dem Westen war zu dünn, zu wenig Munition, keine „Taurus“-Marschflugkörper, keine Kampfflugzeuge. Die Armeen Russlands und der Ukraines haben sich eingegraben, sie liegen im dicken Schlamm und töten einander, ohne wirklich entscheidend durchzubrechen.

Putins „Sonderoperation“ gegen „Nazis“ dauert jetzt schon beinahe zwei Jahre

Was aber nicht erzählt wird ist, dass nach zwei Jahren Krieg gegen die russische Übermacht, die Ukraine immer noch existiert und heldenhaft Widerstand leistet. Der Vorsitzende des NATO-Militärausschusses, der niederländische Admiral Rob Bauer, fasste das zusammen: „Die jüngsten Angriffe Russlands sind zwar verheerend, aber militärisch nicht wirksam.“ Und weiter: „Gleichzeitig sehen wir erhebliche militärische Erfolge auf ukrainischer Seite.“

Auf russischer Seite gehe man seit Kriegsbeginn von mehr als 300.000 Toten und Verletzten aus. Die ukrainischen Streitkräfte haben Tausende Panzer und gepanzerte Fahrzeuge sowie Hunderte russische Flugzeuge zerstört. Bauer: „Sie konnten bedeutende Teile ihres Territoriums befreien und die Russen von etwa 50 Prozent der zu Beginn des Krieges besetzten Gebiete zurückdrängen.“ Die Tatsache, dass die Ukraine ohne echte Marine die russische Schwarzmeerflotte zurückdrängen und einen Getreidekorridor eröffnen konnte, sei ein weiterer Gewinn.

Es ist noch nichts entschieden, die Ukraine kann diesen Krieg immer noch gewinnen.

Und übrigens: Der spektakuläre Abschuss eines A-50-Fliegers der russischen Armee am Asowschen Meer hat offenbar Folgen in der russischen Elite. Mehrere hochrangige Offiziere wurden suspendiert. Umfangreiche Untersuchungen laufen. Russland hatte von dem Fernaufklärer, die jeder 500 Millionen Dollar kosten, nur zehn Stück. Jetzt noch neun …

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Klaus Kelle, Chefredakteur