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Ich schreibe dem Christian Lindner im Wahljahr mal einen Brief

von FELIX HONEKAMP

Lieber Christian Lindner,

ich leide – so sagte es mal ein bayerischer Ministerpräsident – wie ein Hund. In meinem Fall geht es darum, dass ich in politischer Hinsicht leide, weil es im Deutschen Bundestag derzeit keine liberale Stimme gibt. Dabei habe ich selbst dazu beigetragen: Zu tief saß bei mir der Schreck über die illiberale Politik, mit der sich die FDP in der vorhergehenden Legislaturperiode von der CDU hat über den Tisch ziehen lassen (ich weiß, offiziell müssen Sie das anders sehen, aber mal unter uns: Wem wollen Sie denn noch weiß machen, dass das eine Sternstunde der FDP war?). Und darum habe ich beim letzten Mal nicht die FDP gewählt sondern eine Kleinpartei ohne Aussicht auf auch nur ein einziges Bundestagsmandat?

Und nun teilt eine große Koalition aus roten und schwarz-roten die Regierungsgeschäfte unter sich auf und unser an sich starkes Land mit der Kraft eines innovativen Mittelstands geht auf Sicht mit der Begründung der Alternativlosigkeit und unter dem Donnern von Durchhalteparolen vor die Hunde. Wie sehr wünschte ich mir also eine tatsächlich liberale Kraft in der Volksvertretung. Wie sehr wünschte ich mir, im Herbst wieder die FDP wählen zu können … aber wie würde mir die Hand abfaulen, wenn sich die Geschichte anschließend wiederholen sollte, und Sie und Ihre Mitstreiter sich für ein paar Brosamen vom Tisch der Macht den liberalen Schneid abkaufen ließen! Und trotzdem – ich würde es mit der FDP noch mal versuchen.

Allerdings nur mit einer FDP, die, um ein paar Beispiele zu nennen …

… den Staat wieder konsequent von unten her denkt! Die sich nicht zufrieden gibt mit ein paar Korrekturen im System, sondern jedes bestehende Gesetz – von neuen ganz zu schweigen – darauf untersucht, ob es tatsächlich der inneren oder äußeren Sicherheit dieses Landes dient. Das nämlich ist die vornehme Aufgabe des Staates und einer Regierung. Alles andere – inklusive so wichtiger Themen wie Energiepolitik, Forschung und Entwicklung oder Bildung, von Kunst und Kultur will ich gar nicht erst anfangen – das sollte die Überzeugung „meiner“ FDP sein, kann der Markt viel besser als jede noch so effiziente Behörde (wenn die Begriffspaarung nicht sowieso ein Widerspruch ist).

Mit einer FDP, die die Staatsquote und damit auch die Steuerlast auf ein Minimum senken will! Natürlich klingt es heute beinahe lächerlich, eine durchschnittliche Steuer- und Abgabenbelastung von unter 20 Prozent zu fordern. Und trotzdem muss es doch eine Partei geben, der instinktiv klar ist, dass eine Belastung durchschnittlicher privater Haushalte (inklusive aller Zwangsabgaben) jenseits der 50 Prozent eine moderne Form der Wegelagerei darstellt. Sicher, die FDP hat mit dem Stempel der „Mövenpick-Partei“ keine guten Erfahrungen gemacht – aber dieses Thema nehme ich der FDP nicht deshalb übel, weil eine Steuerentlastung für Hotels falsch gewesen wäre, sondern weil sie in ihrer jüngsten Regierungsbeteiligung insgesamt nicht mehr zustande gebracht hat.

Mit einer FDP, die den Sozialstaat vom Sozialismus befreit! Es kann unmöglich noch länger um Gleichheit gehen. Es kann nicht angehen, dass Erfolg in Deutschland bestraft wird, Neidkampagnen der politischen Linken bis weit in die Mitte hinein ohne Widerspruch bleiben. Leistung – den Spruch gab es mal, heute ist er den meisten eher peinlich – muss sich wieder lohnen. Das bedeutet nicht etwa, unschuldig in Not Geratenen nicht unter die Arme greifen zu wollen. Aber damit wäre die Grenze einer wirklich sozialen Marktwirtschaft und ihrer Leistungsfähigkeit auch schon erreicht. Und für die Erkenntnis, dass ein Sozialstaat nach heutigem Zuschnitt nicht mit sperrangelweit geöffneten nationalen Grenzen funktioniert, muss man auch nicht studiert haben.

Mit einer FDP, die die freie Meinungsäußerung auch da verteidigt, wo es der Mehrheit weh tut! Meinungen sind niemals ein Verbrechen, weder von rechts noch von links. Es mag vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte nachvollziehbar sein, dass eine Holocaust-Leugnung unter Strafe steht. Ich kann auch der Vorstellung etwas abgewinnen, das ein expliziter Aufruf zur Gewalt sanktioniert gehört – unter zivilisierten Menschen ist Derartiges sowieso geächtet. Aber warum Beleidigungen oder sogenannte Hassreden oder „Fakenews“ durch staatliche Stellen oder NGOs mit staatlicher Unterstützung zensiert oder geahndet werde sollen, kann man einen liberal denkenden Menschen niemals klar machen.

Mit einer FDP, die – wo wir schon mal dabei sind – den öffentlich-rechtlichen Rundfunk kappt! Kurz nach dem Zweiten Weltkrieg mag es ja sinnvoll gewesen sein, einen staatlich kontrollierten TV-Anbieter mit einem Bildungs- und Unterhaltungsauftrag zu haben. Aber dass der Fehler der staatlichen Einflussnahme im System liegt, sollte offensichtlich sein. „Und wer produziert dann einen Tatort? Wer die Superhitparade der Volksmusik? Wer überträgt Fußball – ohne Werbeunterbrechung?“ Diejenigen, die das zu finanzieren in der Lage sind, und zwar ohne Zwangsabgaben von Menschen, die derlei gar nicht sehen wollen. Und ich bin sicher: Qualitativ hochwertige Politsendungen und –Talkshows werden auch mit einem pay-per-view-System wirtschaftlich gesendet werden können. Ob allerdings für allerlei Maischbergerliches ein Markt vorhanden ist? Darum: Öffentlich-rechtlichen Rundfunk abschalten!

Es gäbe noch eine Menge anderer Punkte, die ich mir in einem Wahl- und Parteiprogramm einer wirklich liberalen und damit wählbaren FDP vorstellen kann. Und ich bin nicht so blauäugig zu glauben, dass man in Regierungsverantwortung nicht auch Kompromisse eingehen muss. Aber zur Parteipolitik einer liberalen Partei kann es doch auch gehören, notfalls aus der Opposition die Neosozialisten aller anderen Parteien vor sich her zu treiben. Von Franz Müntefering stammt die Einsicht, Opposition sei Mist. Ungleich „mistiger“ muss es aber doch für einen liberalen Politiker sein, Regierungsmitverantwortung zu tragen und im gleichen Stil wie alle anderen etatistische Politik zu betreiben.

Können wir uns darauf einigen, lieber Christian Lindner? Finden Sie für solche Vorstellungen Mehrheiten in ihrer Partei? Dann bekämen sie im Herbst meine Stimme.

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Klaus Kelle, Chefredakteur