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Der Westen kann den Verlauf des Krieges entscheidend beeinflussen

Militärblogger Torsten Heinrich: „Wenn man Videos der anderen Seite sieht, entsteht oft ein anderes Bild“

KLAUS KELLE
Verfasst Analysen über den Kriegsverkauf in der Ukraine: Torsten Heinrich

Torsten Heinrich ist der wahrscheinlich bestinformierte deutsche Militärblogger. Hunderttausende haben seit Kriegsbeginn im Februar 2022 seine fundierten Analysen über den Verlauf des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine verfolgt. Wir fragten ihn nach seiner Arbeitsweise und seiner Einschätzung der aktuellen Lage.

Torsten Heinrich, Sie gelten vielen als wichtigster Militärblogger und nicht-staatlicher Beobachter des Ukraine-Krieges. Hunderttausende folgen Ihren Analysen. Woher bekommen Sie die Informationen für Ihre Analysen?

Ich beziehe mich ausschließlich auf frei verfügbare Quellen, die ich bewerte und zusammenfasse. Ich folge sicher über 50 Telegram-Kanälen aus Russland und der Ukraine für Bewertungen, Originalton und ursprüngliche Quellen der Kriegsparteien, mehreren hundert Twitter-Kanälen von Aggregatoren und Analysten und natürlich lese ich mir auch die Analysen der diversen internationalen Thinktanks durch.

Viele dieser Kanäle werden von staatlichen Stellen und Geheimdiensten betrieben, um die öffentliche Meinung zu beeinflussen, besonders im Westen. Wie verlässlich sind Ihre Analysen?

Ich versuche anzuwenden, was der Kern des Studiums der Geschichte ist, die Quellenkritik. „Überreste und Tradition“ sind zu unterscheiden, also Quellenmaterial, das von Geschehnissen übrigblieb und absichtlich zum Zwecke der Überlieferung erstelltes Material. In der Ukraine verschwimmt allerdings beides, weil ein zerstörter Panzer zwar ein Überrest ist, die Anfertigung des Bildes und seine Verbreitung allerdings im Sinne der Tradition erfolgt.

Also geht es darum, die Hintergründe der Quelle zu erfahren und sie entsprechend einzuordnen. Beide Seiten sind sich des Kampfes im Informationsraum vollends bewusst und bemühen sich entsprechend, diesen zu manipulieren. Dann wird schon mal ein Angriff der einen Seite gefilmt und veröffentlicht und sieht sehr erfolgreich aus – bis das dazu passende Video der Feindseite auftaucht, das dort weiterspielt, wo das erste endet und sich der erfolgreiche Angriff plötzlich zerschlägt. Ein solches Beispiel direkt bei Staromayorske habe ich beispielsweise dann auch entsprechend aufgearbeitet.

Als einfache Faustregel kann man es so verstehen, dass man die Quelle und ihre Zugehörigkeit zu identifizieren versucht und dann deren Eingeständnisse von erfolgreichen feindlichen Aktionen als glaubwürdiger ansieht als die Erfolgsmeldungen über die eigene Seite.

Wenn russische Milblogger schreiben: „Unsere Jungs mussten sich zurückziehen“, dann wissen wir nahezu sicher, dass die Ukrainer an Boden gewonnen haben. Wenn sie dagegen erklären, Bohdanivka sei erobert, dann kann es durchaus noch wochenlang weiter umkämpft oder gar in ukrainischer Hand sein.

Tauschen Sie sich mit anderen Militärbloggern international auch schon mal aus?

Ja, es gibt auch Austausch mit internationalen Kollegen. Sei es zur Klärung von Informationen, sei es zum Austausch über technische Details.

Die Gegenoffensive der Ukraine gegen die russischen Invasoren hat zuletzt kaum Geländegewinne erzielt. Während Russland auf Kriegswirtschaft umgestellt hat und Rüstungsgüter en masse produziert, kommt der Nachschub des Westens nur unzureichend. Würden Sie sagen, Russland ist auf der Siegesstraße?

Aktuell sieht es sicherlich besser für Russland aus als für die Ukraine. Wie Sie sagen: Russland wirkt aktuell wie auf der Siegesstraße, allerdings ist dies keine Vorentscheidung. Im Sommer 1940 schien der Zweite Weltkrieg praktisch gewonnen für Deutschland, im Mai 1945 nicht mehr ganz so sehr. Wie der Krieg ausgeht, kann der Westen jederzeit mit ernsthaften Anstrengungen erheblich beeinflussen.

Das Interview führte Klaus Kelle.

 

 

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Klaus Kelle, Chefredakteur