Skip to main content

Verstörendes Stadtmarketing

„Orient trifft Okzident“ – der Weihnachtsmarkt, der keiner sein soll

Thilo Schneider
Foto: British Library (bearb.) | Der Muezzin ruft zum Gebet. Auf einem deutschen Vorweihnachtsmarkt sorgte das für Verwunderung und Ärger.

Karlstadt am Main ist ein beschauliches kleines Dörfchen in Unterfranken. Hübsche, gepflegte Fachwerkhäuschen schmiegen sich in dem 15.000-Seelen Ort aneinander. Und zur Weihnachtszeit lässt sich hier wirklich ein schön kitschiger Weihnachtsmarkt mit allem Zipp und Zapp abhalten. Jedes Jahr im November findet vor Weihnachten der „Andreasmarkt“ statt, ein verkaufsoffener Sonntag.

Dieser „Markt“ findet jedes Jahr unter einem anderen Motto statt. Dieses Jahr hatte sich die Stadtmarketingabteilung von Karlstadt etwas ganz Besonderes ausgedacht: Unter dem frisch geschmückten Weihnachtsbaum (darf man ihn noch so nennen? Wäre „Jahresendzeitbaum“ nicht besser und inkludierender?) lautete das Motto „Orient trifft Okzident“. Ich möchte, ebenso, wie dies das Stadtmarketing Karlstadt neuerdings ausdrücklich auch tut, betonen, dass es sich hier NICHT um einen Weihnachtsmarkt oder, besser, Wintermarkt handelt, der Jahresendzeitbaum ist ein Soda-Baum, weil er einfach nur so da steht.

Ein Muezzinruf auf dem Jahresendmarkt

Es ist auch nicht so, dass das Stadtmarketing Karlstadt nicht gewarnt hätte: In seiner Pressemitteilung heißt es: „Am Stand der Diyanet Ditib Moschee warten kreative Aktionen wie z.B. „Tattoos“ auf die Kinder. Für die kleinen Besucher wird es am Stand der Sülyemant Moschee ein Frage-Antwort-Spiel über den Islam geben.“ Beispielsweise, warum der Islam eigentlich so mega-toll und tolerant ist? Immerhin gehört er zu Deutschland. Irgendwie. Jetzt ist er nun einmal da.

Und nachdem der Okzident ja ganz dringend den Orient treffen sollte, stimmte auf dem Nicht-Wintermarkt mit dem Soda-Baum ein Muezzin seinen Gebetsruf an und ließ ihn weithin durch die Gassen erschallen. Sehr zur Überraschung der Besucher, die sich vielleicht doch irrigerweise eine ansatzweise festliche Vorweihnachtsstimmung vorgestellt hatten. Aber bitte, noch einmal: Nur, weil der Markt Ende November stattfindet und da eine jahresendzeitgeschmückte Tanne herumsteht, ist das NOCH LANGE kein Weihnachtsmarkt! Auch, wenn der Andreasmarkt unter „Weihnachtsmarkt-Deutschland.de“ als Weihnachtsmarkt gelistet ist. Lassen Sie sich da nichts anderes erzählen. Kein Weihnachtsmarkt. Definitiv. So.

Provokation evoziert erwartbare Reaktionen

Natürlich ging das Video von dem Singsang viral, die Leute regen sich auf. Das „Main-Echo“ als Regionalzeitung leitet einen Artikel vom 6. Dezember mit dem Satz „Muslime bereichern Weihnachtsmarkt“ ein, um in der ersten Zeile zuzugeben: „Faktencheck: Der Andreasmarkt ist kein Weihnachtsmarkt!“ Heute, am 7.12., ist der Artikel leider verschwunden und es gibt nur ein hübsches „der von Ihnen gewünschte Artikel konnte nicht gefunden werden.“ Das hat er mit der vorweihnachtlichen Stimmungssuche der Andreasmarktbesucher gemeinsam.

Allerdings ist das auch ein bisschen die Schuld der Karlstädter Stadtmarketing: Denn wenn schon im Nichtwintermarkt der Okzident dem Orient die behandschuhte Hand reicht, dann hätte meiner Ansicht nach da auch ein jüdischer Rabbi – ja, GERADE ein jüdischer Rabbi auf die Bühne neben dem regenbogenbunten Zelt gehört, denn auch Israel – ja, gerade Israel – gehört ebenfalls zum Orient und ist sogar die Wiege des Christentums.

Man hat ein sehr eindimensionales Bild des „Orients”

Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von Standard. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf die Schaltfläche unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.

Mehr Informationen

Nun weiß ich nicht, ob das Stadtmarketing Karlstadt sich um einen Rabbi bemüht hat und sich einfach keiner finden ließ, oder eben nur der Imam oder Muezzin des örtlichen Moscheeverbandes, dem auch Ditib-Moscheen angehören, Zeit hatte, vor dem Soda-Baum zum Gebet zu rufen oder was er da auch immer tat. Wahrscheinlich hätten sich die Besucher des ehmaligem  Spätherbstmarktes auch an Baklawa ebenso wenig wie Palästinenser (und Palästinenserinnen) im Gaza-Streifen bei der Präsentation von jüdischen Gefangenen gestört, in der Mittagspause geht’s ja auch mal zum „Best-King-Döner“ am Markplatz (oder Basarplatz, um integrativ zu bleiben), aber das war dann doch ein bisschen zu viel Orient beim Okzidenttreffen. Obwohl das, man kann es nicht anders sagen, sogar ein sehr gelungener Wirkungstreffer war.

Der Schaden ist jedenfalls da und jeder, der der Ansicht ist, hier hätte ein Muezzin einen Weihnachtsmarkt gekapert und der Islam würde langsam aber sicher unsere christlichen Traditionen aushöhlen, wird nun streng von den kommunalen, regionalen und nationalen Medien darauf hingewiesen, dass er wahrscheinlich ein Rassist ist und der Andreasmarkt eben kein Weihnachts- oder Wintermarkt ist, Jahresendzeitsodabaum hin und, laut Stadtmarketing Karlstadt „das ein- oder andere Weihnachtsgeschenk besorgt werden kann“ her.

Der heilige Andreas ist Christ!

Also: Seien Sie brav und regen Sie sich nicht auf! Gehen Sie weiter! Es gibt hier nichts zu sehen und zu hören. Außer dem treffsicheren Orientalen. Es geht hier um den heiligen Andreas, einen Apostel Christi, dessen Fest am 30. November begangen wird und der der Schutzheilige von Karlstadt ist. Immerhin ist der aber auch Orientale und wenn die Idee der Stadtverwaltung, einen Muezzin vor dem Tannenbaum rufen zu lassen, auch in etwa so clever war, wie einen Bratwurstgrill vor einer  Moschee zu betreiben – so passt die Angelegenheit doch wunderbar in das Bild eines bestenfalls naiven öffentlichen Gutmeinendentums, das auf orientalischer Seite als Schwäche oder Desinteresse interpretiert wird.

Vielleicht machen sie es nächstes Jahr ja besser, wenn dann Okzident Orient trifft und der Muezzin ein paar Weihnachtslieder anstimmt? Kein Lied davon singen konnte er jedenfalls. Das Stadtmarketing Karlstadt ebenfalls. Der heilige Andreas hat sich sicher in seinen diversen Reliquiengräbern umgedreht.


Mehr Berichterstattung

Allahu Akbar! Wir sind mitten im Krieg und haben keine Anführer, die unsere Verteidigung organisieren

Liebe Leserinnen und Leser, und wieder Würzburg. Schon 2016 fand hier ein Terroranschlag statt, genau am 16. Juli. Da griff ein 17-jähriger Afghane in einer Regionalbahn wahllos Menschen an und verletzte sie schwer. Polizisten verfolgen den Täter bei der Flucht und erschießen ihn schließlich. Ic…

Der blutige Pfad Allahs führt auch durch Deutschland

von JULIAN MARIUS PLUTZ Es gibt Gespräche, die sind emotionaler als andere. Gespräche, die man nicht vergisst. Eines davon war ein Interview mit Mohammed Ali Slim in einem anderen Medium. Ich kenne Mohammed seit Anfang des Jahres. Seine Geschichte ist eine von vielen, von zu vielen. Es ist die G…

Mahmud, der eigentlich ganz freundliche Judenhasser von nebenan

von JULIAN MARIUS PLUTZ BERLIN – Jeder Mensch, der eine mehr der andere weniger, lebt in Routinen. Sie beruhigen, regen nicht auf, sondern ab. Sie erzeugen einen wohligen Status quo der Verlässlichkeit. Ich gehe meist zwischen 18:30 und 19:30 einkaufen. Und siehe da: Man begegnet immer wieder d…

Spendenaufruf

+++ Haben Sie Interesse an politischen Analysen wie diesen?
+++ Dann unterstützen Sie unsere Arbeit
+++ Mit einer Spende über PayPal@TheGermanZ
oder einer Überweisung auf unser Konto DE03 6849 2200 0002 1947 75 +++


Klaus Kelle, Chefredakteur