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Wenn man Leute verteidigen muss, die man nicht verteidigen will

Rechtes Stelldichein am See: Wann Bürgerliche aufstehen und gehen sollten

THILO SCHNEIDER
FOTO: klaus kelle | Der malerische Lehnitzsee in Potsdam – hier fand im November 2022 eine umstrittene Tagung mit AfD-Beteiligung statt

Ich habe ein Problem mit der AfD. Und es ärgert mich jedes Mal, wenn ich sie trotzdem verteidigen muss, weil mit Tricks und Winkelzügen verhindert wird, dass sie ihrer parlamentarischen Arbeit nachgehen kann. Entweder haben wir eine Demokratie – dann muss die AfD auch ihrem verfassungsmäßigen Auftrag nachkommen können – oder wir haben eben keine Demokratie. Dann sollte dies offen kommuniziert und nicht über Bande gespielt werden.

Ich gebe sogar offen zu, dass ich die AfD gerne wählen würde – wenn sie eben nicht die AfD wäre

Dabei ist es nicht nur der Kopf, der hier seltsam riecht – es ist vor allem die Basis, wie ich sie in den sozialen Medien, aber auch auf Treffen oder Demonstrationen wahrnehme. Die Pöbelei von rechts nimmt sich wenig mit der Pöbelei von links. Pöbelei ist eben Pöbelei und ein liberaler oder konservativer Bürger kann keine Pöbler wählen. Das geht nicht. Das verbietet der Anstand.

Den Reichsadler hat die AfD allerdings jetzt mit dem Treffen am Lehnitzsee in Potsdam abgeschossen: Da durfte nicht nur Martin Sellner von seinem „Masterplan“ schwafeln, da stand auch noch – und das taucht so gut wie gar nicht in der Berichterstattung auf – ein Mario Müller mit dabei. Beinharter Neonazi und wegen Körperverletzung vorbestraft.

Mit Kontaktschuld kriegt man jeden dran

Correctiv mag nur eine halbseidene und halbseriöse Quelle sein, der Originalbericht wabert von Relotiusbildern, vom „Schnee, der zu Matsch geworden ist“ und von „30 Gedecken mit gefalteten Servietten“ und anderem Stimmungslametta und vielleicht ist auch nicht jede Einzelheit und jedes Wort so gefallen, aber Tatsache ist: Martin Sellner und Mario Müller waren anwesend. Und auch hier: Es ist ein Unterschied, ob ich in einer Halle mit 1.000 Leuten stehe und da Sellner und Müller eben auch stehen oder bei einem privaten Treffen bin, bei dem wenigstens eine der beiden Perlen einen Vortrag hält, ja, sogar als „Key-Speaker“ angekündigt ist. Ich persönlich halte nicht viel von Kontaktschuld, denn da kriegst Du jeden dran, aber der Verkündung eines „Masterplans“ zu lauschen, das passiert nicht zufällig. Das ist Absicht.

Sellner wurde 2006 mit 17 Jahren wegen des Anbringens von Hakenkreuzen an einer Synagoge zu 100 Stunden gemeinnütziger Arbeit auf einem Friedhof verurteilt. Gebracht hat das nicht viel – im Gegenteil war er bis Anfang 2023 mitverantwortlich in der Führung der rechtsextremen „Identitären Bewegung“, die einer straffen Ethnopluralität das Wort redet. Daneben war er prominentes Mitglied des Netzwerks „Reconquista Germanica“, einer rechtsextremen Trollfabrik. Sieht so ein Bürgerlicher aus?

Müller, der „Mann fürs Grobe“

Mario Müller ist mehr so der Typ fürs Grobe. Er war Anführer einer Gruppe namens „Aktionsgruppe Delmenhorst“, später „Nationaler Widerstand Delmenhorst“, wo er gerne mal mit einem aus einer Hantelmutter und einer Socke gebastelten Totschläger auf Andersdenkende einschlug, was ihn zum Vorbestraften machte. Seine politische Agenda, von ihm selbst in seinem Buch „Kontrakultur“ beschrieben, lautet so: „Bevor eine politische Revolution gelingen kann, muss man sicherstellen, dass das Volk diese Revolution für legitim erachtet. Zuerst gilt es daher, die Köpfe und Herzen zu erreichen.“

Nun hätte auch ein Grüner diesen Text schreiben können, aber im Gesamtbild haben wir es hier mit einem strammen Rechtsextremen mit Gewaltpotential zu tun. Jetzt ist nicht zu erwarten, dass jeder Mario Müller kennt, so prominent ist er dann auch wieder nicht, auch, wenn er mal bei Matusseks 65sten Geburtstag andockte, trotzdem wäre mir nach der Vorstellungsrunde, so es eine am Lehnitzsee gab, wenigstens flau im Magen gewesen und ich wäre abgereist.

Die AfD ist sicher eine rechte – aber zumindest bisher – keine rechtsextreme Partei

Wenn sie es aber an Distanz zu Rechtsextremen vermissen lässt, macht sie sich für Bürgerliche unwählbar und noch angreifbarer als sie sowieso schon ist. Die Nummer „Ist der Ruf erst ruiniert…“ zieht hier nicht. Die durch Basismitglieder regelrecht hasserfüllten Attacken und Ausfälle gegen Bewerber wie Ali Utlu, die mit einem AfD-Abgeordneten verheiratete Ronai Chaker oder die rumänischstämmige Aussteigerin Joana Cotar sprechen hier nicht nur Bände, sondern ganze rassistische Bibliotheken voll. „Kost“proben erspare ich Ihnen, öffnen Sie Ihr Twitter selbst. Der Weg zu den Schnittmengen mit dem Rechtsradikalismus ist nicht mehr so weit, wie er einst war.

Natürlich hängt dies auch mit der „Wir gegen die“-Wagenburgmentalität der meisten AfD-Mitglieder zusammen, und die Freude über die derzeitigen Umfragewerte ist groß. Dabei wird aber übersehen, dass die derzeit hohen Werte tatsächlich zu einem Großteil Proteststimmen mangels echter „Alternativen für Deutschland“ sind.

In dem Moment, in dem sich Friedrich Merz hinstellt und sagt: „Die Merkelpolitik war ein Fehler und Schaden für unser Land!“, verliert die AfD locker zehn Prozent Zustimmung. Glück für die AfD, dass Merz dazu zu feige ist.

(Weitere „Mainstream“- Artikel des Autors unter www.politticker.de

Von Thilo Schneider ist in der Achgut-Edition erschienen: The Dark Side of the Mittelschicht, Achgut-Edition, 224 Seiten, 22 Euro.

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Klaus Kelle, Chefredakteur