Von Rousseau bis zur Woke-Ideologie: Der Hass der Linken auf die Kultur
Die tiefe Abneigung der linken Extremisten gegen die westliche Kultur hat hauptsächlich zwei Ursachen: eine ideologische und eine psychologische. Allerdings gibt es zwischen diesen Ursachen keine klare Trennungslinie, denn sie bedingen sich auch gegenseitig.
Rousseau: Die angebliche Ungerechtigkeit des kulturellen Wettbewerbs
Die ideologisch begründete Abneigung gegen die sogenannte bürgerliche Kultur hat eine fast 300-jährige Vorgeschichte. Ihre Geburt lässt sich auf Jean-Jacques Rousseau zurückführen, der als erster die Kultur als eine destruktive und letztendlich zutiefst unmoralische Kraft definiert hat. Rousseau war der Meinung, dass das einsame, nicht-sozialisierte Individuum („der gute Wilde“) von Natur aus grundsätzlich gut sei, dass es aber durch seine Vergesellschaftung schlecht, heuchlerisch und egoistisch wird.
Dies sei laut Rousseau angeblich deswegen der Fall, weil das Individuum in der Gesellschaft stets der Konkurrenz seiner Mitmenschen ausgesetzt ist, was implizit bedeutet, dass seine Leistungen bewertet werden. Das würde automatisch zum Neid der Unterlegenen auf die Gewinner führen. Und weil Neid mit der angeblichen Güte des Menschen unvereinbar ist, sind die Bewertung und die Konkurrenz abzuschaffen.
Das impliziert natürlich auch die Abschaffung aller kulturellen Leistungen, die ebenfalls bewertet werden. Durch diese Abschaffung der Konkurrenz – auch auf kulturellem Gebiet – würden die Menschen wieder so gut werden wie im sogenannten Naturzustand. Rousseau ist der Urahne aller (linksextremen) kollektivistischen Kulturrevolutionen des 20. Jahrhunderts, bis hin zur heutigen woken cancel culture, die die westliche Welt erschüttert.
Marx: Der „Überbau“ als Machtinstrument der bürgerlichen Unterdrücker
Marx hat Rousseaus Thesen vom Konkurrenzkampf zum Teil übernommen. Aber er postulierte, dass die Grundstruktur der Gesellschaft nicht mehr der Konflikt der einzelnen Individuen gegeneinander sei, sondern der Kampf bloß zweier sozialer Klassen: „Ausbeuter“ und „Ausgebeutete“. Dieser Klassenkampf, in dem es nur um materiellen Besitz gehen würde, sei die eigentliche Essenz der Gesellschaft. Marx nannte sie „Basis“.
Alles was in der Gesellschaft zusätzlich zu dieser angeblichen faktischen Grundlage noch existiert – Religion, Familie, Recht und Kultur – sei nur die Begleiterscheinung dieser „Basis“. Marx nannte sie einen „Überbau“. Dieser „Überbau“ würde laut Marx in der bürgerlichen Gesellschaft nur dazu dienen, um die angeblich unterdrückerischen Machtstrukturen und die fundamentale – heute sagt man in linken Kreisen: „systemische“ – Ausbeutung der Besitzlosen (die Proletarier) durch die besitzenden Ausbeuter (die bürgerlichen Kapitalisten) zu verschleiern.
Insbesondere die Religion, die Marx „Opium des Volkes“ nannte, wäre dazu da, um den Ausgebeuteten eine billige Tröstung für die Härten des Lebens zu bieten, und sie dadurch politisch ruhig zu stellen. Die eigentliche Funktion des „Überbaus“ war laut Marx die Machtstabilisierung der „Ausbeuter“. Deswegen hätten Marxisten die Pflicht, diese Funktion des „Überbaus“ zu entlarven und den „Überbau“ selber zu zerstören.
Herbert Marcuse: Die bürgerliche Kultur als neues „Opium des Volkes“
Weil der Einfluß der christlichen Religion im 20. Jahrhundert immer kleiner wurde, haben die neo-marxistischen Ideologen die Funktion der Religion als „Opium des Volkes“ der Kultur zugewiesen. Dadurch wurde die Kultur zum Hauptschauplatz des ideologischen Kampfes. (Hier sei an Antonio Gramsci erinnert.) Und damit war die ideologische Grundlage des direkten Kulturhasses der Linken bis zum heutigen Tag erstellt.
Einer der Heroen des auf diese Weise modernisierten Marxismus war der sehr erfolgreiche Schriftsteller Herbert Marcuse. Seine Thesen über den „affirmativen Charakter“ der „bürgerlichen“ Kultur und Kunst resultieren direkt aus Marxens Theorie des Überbaus. Marcuse war einer der ersten, der die angebliche Funktion der Religion als „Opium des Volkes“ ausdrücklich auf die Kultur übertragen hat.
Laut Marcuse würde die Kultur durch ihre trügerischen Schönheiten und ihren verlogenen Idealismus die Ausgebeuteten besänftigen und dazu bringen, ihre angeblich miserable gesellschaftliche Lage zu akzeptieren. Somit sei die gesamte (westliche) Kultur bloß eine Stütze des „ausbeuterischen“ bürgerlichen Machtmechanismus. Sie würde im Namen der Menschlichkeit, der Schönheit, der Freiheit und der Tugend das Elend, die Knechtschaft und den brutalen Egoismus der bürgerlichen „gesellschaftlichen Bedingungen“ „verdecken“. Sie würde die Menschen dazu bringen, die „antagonistischen Daseinsverhältnisse“ der bürgerlichen Gesellschaft nicht mehr wahrzunehmen. (Die in Anführungsstrichen gesetzten Worte sind Zitate aus Marcuse.)
Deswegen sollte die bürgerliche Gesellschaft mitsamt ihrer „klassischen bürgerlichen Kunst“ restlos vernichtet und durch eine „total andere Welt“ ersetzt werden. Marcuse forderte die radikale Zerstörung der bürgerlichen Kultur. Die sollte dem „Untergang“ zugeführt werden.
Die Woke-Ideologie als Zuspitzung der Kritischen Theorie: Die „systemische Diskriminierung“
Macuses Theorie von der hassenswerten „affirmativen Kultur“ vereint in sich Gedanken von Rousseau und Marx und bildet die ideologische Basis der sogenannten „kritischen Theorie“ der „Frankfurter Schule“ und der postmodernen Theoretiker. Diese Ideen wurden in den vergangenen Jahrzehnten modernisiert und sind der wichtigste Bestandteil aller heutigen linken Ideologien, speziell der postmodernen Woke-Doktrin, für die die Kultur nur ein diskriminierendes Machtinstrument ist. Diese Ideen sind die Grundlage für den Hass der (extremen) Linken (die inzwischen eine ziemlich große Minderheit der westlichen Bevölkerung ausmacht) auf die sogenannt „bürgerliche“ Kultur und Kunst.
Dies ist ein Auszug aus Tom Soras neuestem Buch „Linke Intellektuelle im Dienst des Totalitarismus. Wie die Kunstavantgarde den Weg für die Woke-Bewegung bereitete ‒ das Beispiel John Cage“, 424 Seiten, Solibro Verlag, hier bestellbar.
https://www.solibro.de/buecher/Linke-Intellektuelle-im-Dienst-des-Totalitarismus
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Klaus Kelle, Chefredakteur