Werden die Bauernproteste die Regierung zum Denken bewegen?
Allein in Berlin sollen heute, nach „vorsichtigen ersten Schätzungen“ von offizieller Seite, mehr als 5000 Traktoren, bisher ungezählte Lastkraftwagen sowie Personenwagen und mehr als 10.000 Demonstranten gegen die Politik der AMPEL-Regierung Scholz auf den Straßen unterwegs sein. Die Teilnehmer folgen den Aufrufen des Deutschen Bauernverbandes (DBV), des Bundesverbands Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung (BGL), von „Land schafft Verbindung“ (LSV e.V.), aus dem Handwerk und aus vielen anderen Vereinigungen, zum Protest gegen die beschlossenen weiteren Belastungen durch die Streichorgie der Koalition aus SPD, FDP und Bündnis90/Die Grünen, auf die Straße zu gehen.
Die bisherigen Zahlen zeigen eine bundesweite, umfassende Unterstützung der betroffenen Menschen aus Landwirtschaft, den vor- und nachgelagerten Wirtschaftszweigen, dem Transportgewerbe oder auch aus dem Handwerk und von weiteren Bürgern, die nicht so unmittelbar von den Restriktionen der Agrarpolitik betroffen sind. In München kamen zum Auftakt der bundesweiten Protestwoche am vergangenen Montag mindestens 10.000 Bäuerinnen und Bauern mit gut 7000 Schleppern zusammen, Köln meldete gut 700 Fahrzeuge, am Freitag traf man sich in Nürnberg mit 2200 Traktoren und so könnte man noch eine ganze Reihe imposanter Treffen aus dem gesamten Bundesgebiet aufzählen. Allen gemein ist, dass die Polizei das gesittete Miteinander, die reibungslose Zusammenarbeit der Demonstranten mit den Ordnungsbehörden bekanntgab.
Der Funken im Pulverfass
Auslöser der bundesweiten Protestkundgebungen, waren die Entscheidungen des Scholz-Kabinetts, den Landwirten die verminderte Steuer auf Treibstoff und die Steuerbefreiung landwirtschaftlich genutzter Fahrzeuge zu streichen. Landwirte, die schon seit spätestens 2019 mit geballter Faust unterwegs waren, weil sie sich von der Politik übermäßig durch restriktive Regelungen und Gesetzgebung gegängelt fühlen, bezeichnen diese Vorhaben als „Funken im Pulverfass“ und als Initialzündung für die nun massiv ausgeweiteten Proteste ihrer Berufsgruppe. Die Transportunternehmer beklagen die horrenden Belastungen durch die Erhöhung der Lkw-Maut auf Autobahnen und Bundesstraßen sowie die gestiegenen Treibstoffpreise durch die CO₂-Abgaben.
Logische Folge dieser Belastungen kann nur ein Anstieg der Verbraucherpreise sein. Und im Volk regt sich Widerstand, denn die Menschen spüren inzwischen die Folgen der Inflation, der exorbitant gestiegenen Strompreise und der Entgeltsteigerungen bei Gas und Erdöl im eigenen Geldbeutel. So nimmt es nicht wunder, dass der Protest weit über die Berufszweige hinaus Wirkung entfacht, die die Demonstrationen organisieren.
Es ist inzwischen eine widerständige Bürgerbewegung
Auch die Gastronomie, bisher noch durch eine Minderung der Mehrwertsteuer ruhig gehalten, legt die Zurückhaltung ab. Kein Wunder, schrecken doch die über Nacht durch die Politik gesteigerte Mehrwertsteuer sowie Energiepreise und die damit notwendigen Menuepreise die Gäste ab. Das trifft die Gastwirte ausgerechnet im Nachgang zu den politisch befohlenen Schließungen in Zeiten der Seuchenbekämpfung.
Eine solche breite Bürgerbewegung ist für alle Politstrategen, die sich zum Machterhalt gerne dem Volk anbiedern, natürlich eine unwiderstehliche Verlockung. Man stellt sich an die Seite, man bläst bedeutungsschwanger die Backen auf, bekundet Solidarität und spricht dem Volk nach dem Mund: So nimmt es dann auch nicht Wunder, dass gerade diejenigen, die bisher die Misere durch ihre fragwürdige Politik mitverursacht haben – CDU und CSU – heute so tun, als wären sie selbst Landwirte: Schlagendes Beispiel? Markus Söder! Seine CSU stellte in den vergangenen 40 Jahren sechsmal die Landwirtschaftsminister, zusammen mit der CDU gar achtmal.
Mit Volksbeschimpfung und Hetze gegen die Proteste, wirkt man nicht konstruktiv
Die ehemalige Weinkönigin Julia Klöckner (CDU) hätte für die christlichen Unionsparteien noch die Chance gehabt, an der Situation der Landwirte in Deutschland grundlegend etwas zu ändern. Die Gesprächsangebote waren da, die Landwirte – insbesondere vom verbandsunabhängigen und überparteilichen LSV e.V. – hatten tragfähige und vernünftige Konzepte vorgelegt. Sie hatten sogar aufgezeigt, wie man den Subventionsirrsinn in der Lebensmittelproduktion durch Streichung und Steuerentlastungen auf Seiten der Endverbraucher hätte abschaffen können.
Das alles entlastet allerdings die derzeit dilettierende Regierung nicht. Scholz und seine Minister sind derart tief in die Durchsetzung der ideologisch grundlegenden Utopien der Grünen gefangen, dass sie die gangbaren Notausgänge schlicht übersehen. Stattdessen wird von Seiten der Regierenden eine andauernde Volksbeschimpfung und ein Bejammern der boshaften Insubordination der Bevölkerung gegen die Machthaber bejammert. Christian Lindner, Aushängeschild der FDP, kam nach einem handfesten Protestaufzug von Landwirten am Fähranleger seines grünen Kabinettskollegen Habeck nicht umhin, den Bauern zu attestieren, sie hätten sich „verrannt“.
Die AMPEL hat sich verrannt – nicht das Volk
Die Reaktionen auf seien Beurteilung scheinen ihn jetzt dazu gezwungen zu haben, den brachialen Abstieg seiner Nochregierungspartei in der Wählergunst ein wenig einbremsen zu wollen: Immerhin er stellt sich auf offener Bühne dem versammelten Volk und lässt Schmähungen über sich ergehen, um sein „großzügiges Angebot“ zum Bürokratieabbau und Behördenwahnsinn gegenüber den Lebensmittelproduzenten zu machen. Nach Zeugenberichten hat das nicht viel gebracht. In Berlin, in der Regierung, bei SPD, FDP und bei Bündnis 90/Die Grünen sollte man eventuell mal darüber nachdenken, wer sich da tatsächlich verrannt hat, wer sich populistisch geriert und wer den Aufstieg der „Räääächten“ maßgeblich befördert.
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Klaus Kelle, Chefredakteur