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Tarifkampf bei der Deutschen Bahn wird immer schlimmer

Weselskys Kampf: Weder die Konzern-Mächtigen noch die Gewerkschaft interessieren die Kunden

JULIAN MARIUS PLUTZ

Stellen Sie sich vor, 40.000 Menschen und einer an der Spitze beschneiden die Freiheit von mehreren Millionen. Was nach der Machtergreifung einer extremistischen Partei klingt, ist in Wahrheit der Status quo für diejenigen, die auf die Schiene angewiesen sind. Die Lokführer streiken. Das letzte Angebot der Bahn, die Wochenarbeitszeit von 38 auf 37 Stunden zu reduzieren so wie ein Lohnsprung von 13 Prozent, war für den Streikführer Claus Weselsky zu wenig – viel zu wenig. Er möchte die 35-Stundenwoche bei vollem Lohnausgleich. Also wird am Mittwoch bis zu sechs Tage die Arbeit niedergelegt. So lange standen die Züge noch nie still.

Wenn man sich die Löhne eines Zugführers ansieht, fragt man sich, worum es hier eigentlich geht. Laut Stepstone beträgt das Durchschnittsgehalt je nach Stadt zwischen 43.000 und 49.000 Euro. Das ist weniger als bei Krankenpflegern, Erziehern, Einzelhandelskaufleuten und übrigens auch weniger als bei den Kollegen, die die Fahrkarten überprüfen. Doch das interessiert Weselsky, der Mitglied der CDU ist, und die Mehrheit seiner Kollegen nicht. Echte Solidarität beginnt von Innen.

Gewinne werden verteilt, Verluste trägt die Allgemeinheit

Hinzu kommen die ökonomischen Auswirkungen und die haben es in sich. „Ein eintägiger bundesweiter Bahnstreik kostet etwa 100 Millionen Euro am Tag an Wirtschaftsleistung“, sagte der Konjunkturchef des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), Michael Grömling. Gerade in einer Zeit, in der die Lage der Lieferketten ohnehin schon mehr als angespannt ist, Stichwort Rotes Meer, kommt der Streik doppelt ungelegen. Aber auch das scheint den Beteiligten nicht zu interessieren.

Es gibt kein Unternehmen, bei dem sich die Führung so wenig für das Unternehmen interessiert, wie die Deutsche Bahn. Die Besetzung der Posten folgt aus einer wenig appetitlichen Logik, die irgendwo zwischen “Good old boys Club” und Habsburger Lippe zu verorten ist. Hinzu kommt der Staat, der 100% der Anteile der Deutschen Bahn hält. Die sogenannte Privatisierung ist ein schlechter Scherz gewesen und folgt einem altbekannten Prinzip. Gewinne werden unter den Vorständen verteilt, während Verluste die Allgemeinheit zu tragen haben.

Der Kunde stört

Nach Recherchen von NDR, WDR und „Süddeutscher Zeitung“ wurden den Bahnchefs hohe Boni nachgezahlt – insgesamt knapp fünf Millionen Euro. Es geht um die Vergütungen für das Jahr 2022. Diese waren zwischenzeitlich zurückgestellt worden. Und das, obwohl die Unternehmensziele nicht erreicht wurden. In einem ordentlichen Betrieb wäre so etwas undenkbar. Bei der Bahn gehört Misswirtschaft in Verbindung mit properen Überweisungen an die Chefs zum Programm.

Und nun der Streik. Die Leidtragende sind Millionen Kunden, die auf die Bahn angewiesen sind. Menschen verlieren Geld, andere können ihre Liebsten nicht besuchen. Doch auch dafür interessiert sich weder der Konzern noch der Gewerkschaftsboss Weselsky. Ist woanders der Kunde König, ist bei der Bahn der Kunde der Trottel. Ein unwichtiges Detail, ein im Kern degeneriertes System, ein Störfaktor. Die fünf Probleme der Deutschen Bahn sind: Frühling, Sommer, Herbst, Winter und Fahrgäste. Irgendwas stört immer.

Größenwahnsinnige Gewerkschaft

Noch nie freute sich eine Gesellschaft so sehr auf die Automatisierung. Der Tag, an dem der Lokführer nicht mehr gebraucht wird, weil eine Maschine seinen Job übernimmt, könnte zu einem Feiertag werden. Endlich keine bodenlos unsinnigen Streiks mehr, endlich keine überzogenen Forderungen von einer Gewerkschaft, die so viele Mitglieder hat wie die Stadt Coburg Einwohner. Ab diesen Tag gibt es keine 45.000 Euro im Monat, keine 35 Stunden Woche und kein absurdes Anspruchsdenken.

Doch noch ist es nicht so weit. Noch müssen die Bahnkunden, wie der Autor dieser Zeilen widerwillig ist, die Zumutungen einer größenwahnsinnigen Gewerkschaft und eines gleichgültigen Vorstands aushalten. Es bleibt zu hoffen, dass aus den deutlichen Worten von Verkehrsminister Wissing auch Taten folgen. Doch angesichts zahlloser gebrochener Versprechen seitens der FDP dürfte diese Hoffnung, wenn auch zuletzt, sterben. Gerade (22.01.2024, 20:30 Uhr) hat die Bahn ihr Angebot erneut verbessert. Es bleibt abzuwarten, ob Weselsky damit zufrieden ist.

 

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Klaus Kelle, Chefredakteur