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Gegen Kanzler Kohl putschen wollte er nicht

Wolfgang Schäuble: Strippenzieher, Graue Eminenz und Architekt der Deutschen Einheit – vor allem aber loyal

Esther von Krosigk
Der deutsche Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble spricht auf einer Konferenz in Shanghai

Schon vor einigen Jahren machte Wolfgang Schäuble gegenüber einem langjährigen Gesprächspartner eine Bemerkung, die diesen aufhorchen ließ. Fast beiläufig sagte der damalige Bundestagspräsident: „Ich bin ja auch nicht gesund.“ Mit diesem Satz spielte Schäuble nicht auf seine schwere Behinderung und sein Leben im Rollstuhl seit dem Attentat von 1990 an, sondern auf seine Krebserkrankung, die er vor der Öffentlichkeit verschwieg. Wenn man ihn gut kannte, dann ahnte man, dass eine solche Bemerkung nicht ohne Grund erfolgte. Möglich, dass sich der Politiker, der schwer zu durchschauen war, bereits seit Langem mit seiner Sterblichkeit auseinandersetzte – und selbst Vertrauten nur durch leise Andeutungen davon Kenntnis gab. Jetzt ist Wolfgang Schäuble in der Nacht zu Mittwoch im Alter von 81 Jahren im Kreis seiner Familie verstorben.

Schäuble kümmerte sich um die Details, die Kohl bei seiner Arbeit vernachlässigte

Innerhalb der CDU, für die schon sein Vater Karl im badischen Landtag saß, hat der herausragende Politiker eine beeindruckende Karriere hingelegt. Er studierte Jura und trat bereits 1965 in die CDU ein. Ab 1982 war er Erster Parlamentarischer Geschäftsführer der Fraktion, Kanzleramtsminister im Kabinettsrang ab November 1984, Bundesinnenminister ab April 1989 und noch einmal ab November 2005, CDU/CSU-Fraktionschef ab November 1993, in Personalunion CDU-Bundesvorsitzender ab November 1998, Bundesfinanzminister ab Oktober 2009, und Bundestagspräsident ab Oktober 2017.

Nach dem Mauerfall handelte Wolfgang Schäuble den Einigungsvertrag mit aus und zählte zu den Architekten der Wiedervereinigung. Mehr als ein halbes Jahrhundert saß er im Deutschen Bundestag, er galt als Strippenzieher und graue Eminenz seiner Partei. Seine beste Zeit, so ein Insider, hatte er wohl als Chef des Bundeskanzleramtes: „Er war in der Union absolut zu Hause und von Leuten umgeben, die ihn bewundert haben. Während sich Kohl nicht um Details kümmerte, wusste Schäuble, wie wichtig die Details waren.“ Als Chef der Unionsfraktion sicherte Schäuble von 1991 bis 2000 Kohls Regierungsmacht ab.

Parteigenossen rieten Schäuble Ende der 1990er Jahre gegen Kohl zu putschen

Wäre Schäuble nicht auch ein guter Kanzler geworden? 1997 stand seine Kandidatur zur Debatte – was die CSU und allen voran Theo Weigel im Verbund mit Edmund Stoiber unmöglich machte. Von letzterem stammt der Satz: „Ein Behinderter kann nicht Kanzler werden.“

Helmut Kohl, seit 1982 Bundeskanzler, dachte zudem nicht daran aufzuhören, obwohl die Mehrheit der Deutschen ihn regelrecht satthatte. Zur Bundestagswahl 1998 trat er noch einmal an und benannte Schäuble zu seinem Wunschnachfolger zu einem späteren Zeitpunkt. Tatsächlich gab es damals Leute in der CDU, die Schäuble drängten, gegen Kohl zu putschen. Doch dieser, stets auf Loyalität bedacht, sagte, er werde das selbstverständlich nicht machen. Zum einen, weil er nicht glaubte, dass es gelingen werde. Und zum anderen: Wenn es denn gelänge, würde niemand froh damit werden. So eine Putsch-Situation passe nicht zur CDU. Deswegen könne er nur dringend davor warnen, so etwas zu versuchen.

Kurze Zeit später wurde die CDU von einem Spenden-Skandal erschüttert. Kohl verlor seinen Ehrenvorsitz und auch Schäuble war von den Turbulenzen betroffen. Unter dem Druck immer neuer Enthüllungen über eine Bargeld-Spende von 100.000 Mark vom Waffenhändler Karlheinz Schreiber – was Schäuble als „dämlichen Fehler“ bezeichnete – trat der Politiker im Februar 2000 als Partei- und Fraktionsvorsitzender zurück.

Merkel als Kanzlerin – das hat Schäuble bereits 1999 prophezeit

Die Karriere von Angela Merkel wäre ohne Wolfgang Schäuble vermutlich anders verlaufen. Früh erkannte er ihr politisches Potenzial und prophezeite bereits im August 1999 auf Sylt in einem Interview, dass sie die erste Kanzlerin werden würde. Es war das erste Mal, dass er sich so dezidiert über die Zukunftsaussichten von Angela Merkel äußerte. Als seine Voraussage dann eintraf, machte die erste Frau an Deutschlands Spitze ihn 2005 erneut zum Innenminister und 2009 zum Finanzminister.

In der EU-Staatsschuldenkrise wurden ihre unterschiedlichen Auffassungen jedoch deutlich. Ein Beobachter erzählt über die damalige Situation: „Schäuble versuchte, zwischen die Speichen zu greifen, als es um die Euro-Rettung ging. Mit den anderen Finanzministern auf seiner Seite wollte er die Griechen erstmal aus dem Euro rausschieben, bis diese sich gesundet hatten. Dabei hat er auf eine Art und Weise, die mitunter grenzwertig war, gegen Merkel offen Front gemacht. Sie hat das unterbunden und danach hat Schäuble nie wieder so etwas versucht.“

Jahre später sollte die Kanzlerin verhindern, dass er Bundespräsident wird. Schäuble schwieg damals dazu, getreu dem Motto: „Ich bin nicht pflegeleicht, ich bin nicht bequem, ich bin aber loyal.“ Nicht Kanzler, nicht Bundespräsident – ein großer Politiker war Wolfgang Schäuble dennoch.

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Klaus Kelle, Chefredakteur