„Berlin, Berlin“ im Admiralspalast: Ein bisschen „Nazi“ ist immer
Wenn Sie in Berlin ins Theater gehen, müssen Sie sich immer darauf einstellen, dass irgendwas mit Homo- und Transsexualität vorkommt. Das ist hier so. Klassik, bombastisch oder leichte Muse – irgendwann wird immer ein Schwuppen-Moment eingebaut. Urbanes Selbstverständnis und so, Wokistan pur. In Zeiten zunehmender AfD-Wahlerfolge, dem deutschen Kulturbetrieb ohnehin ein Graus, wird die Themenpalette nun erweitert. Um das Thema „Nazi“. Und besonders, wenn es um ein Stück geht wie gestern Abend die Premiere von „Berlin, Berlin“ im Admiralspalast an der Friedrichstraße in Berlin-Mitte.
Dessen wechselhafte Geschichte beginnt 1863 als „Admiralsgartenbad“ mit Schwimmbassin und 26 Wannenbädern. Neubauten entstehen, Hotels, Cafés und Restaurants siedeln sich an, und das Bad ist in dieser Umgebung bald nicht mehr zeitgemäß. 1910 wird der Badetempel abgerissen, ein Jahr später entsteht an gleicher Stelle ein modernes Vergnügungszentrum mit einer großen Eislaufbahn, mit Bars, Kino und Kegelbahn. 1922 und 1923 erlebt der Admiralspalast unter seinem Direktor Herman Halter seine große Zeit mit glanzvollen Variete-Shows, mit Showtanzgruppen wie den legandären Tiller Girls. Hier tanzten Touristen und Intellektuelle, Ladenmädchen und Straßenjungs, als gäbe es kein Morgen mehr. Mit der Machtergreifung Hitlers – Sie ahnen es – wurde der Admiralspalast geschlossen, Weltstars wie Josefine Baker und Marlene Dietrich waren nicht mehr gern gesehen bei den neuen Machthabern, die Comedian Harmonists wegen jüdischer Ensemblemitglieder natürlich auch nicht. Auch sie setzten sich irgendwann dann in die USA ab.
Von all dem erzählt „Berlin, Berlin“
Eine wirklich farbenfrohe Show über das Berlin der 20er Jahre mit allem, was man so gehört hat aus der Zeit. Selbst den jungen Bertold Brecht hat man in eine kurze Szene eingebaut, wohl damit das begeisterte Publikum „Denn der Haifisch, der hat Zähne…“ lautstark mitsingen konnte. Glitzernde kurze Paillettenkleidchen, heiße Melodien, schamlose Tänze und immer wieder deutliche Hinweise auf zügellose sexuelle Ausschweifungen. Man ließ ganz offenbar nichts anbrennen damals, nur wenige Jahre nach dem Ersten Weltkrieg.
Ist das eigentlich zwangsläufig so?
Dass man nach einer großen Tragödie erstmal die Sau rauslassen muss? Es scheint so, wie man ja auch in Johannes Mario Simmels großem Roman „Hurra, wir leben noch“ nachlesen kann. Die, die überlebt haben, lassen es krachen, auch sexuell und wenig katholisch. In Simmels Roman wird beispielsweise über eine Sexualpraktik geschrieben, die Experten als „Chinesische Schlittenfahrt“ bezeichnen. Der Protagonist des Romans, „Jakob Formann“, erlebt in dem Buch bei einer Prostituierten namens Yün-Sin in einem Bordell in Antwerpen bislang ungeahnte „Gipfel der Ekstase“, als er aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft wieder in die Heimat zurückkehrte.
Aber wie auch bei „Cabaret“ – irgendwann ist der Spaß vorbei. Irgendwann kommt das Nazi-Thema, und im Grunde ist es richtig, dass man die 20er Jahre in Berlin nicht nur als heile Welt darstellen sollte oder als Sündenpfuhl mit Kokain-Missbrauch, Orgien und Schwarzmarktgeschäften.
Irgendwann, zehn Minuten vor Ende der Vorstellung gestern, nach einer bunten, schrillen Tanzszene, wird plötzlich eine große Hakenkreuzfahne auf der Bühne heruntergelassen, hinter Leinentuch die Schatten von Menschen und aus dem Off eine Stimme, dann mit Schauspielern und ernster Miene, die uns fragen: Wie konnte das passieren? Und klar, wir alle – gemeint waren die damals – haben sich nicht gewehrt, haben tatenlos zugesehen, als die Menschenschinder und Rassisten die Macht übernahmen. Auch das ist historisch durchaus haltbar, denn das bräsige Bürgertum verliert immer. Einfach, weil es ein bräsiges Bürgertum ist.
Aber als die Schauspieler dann auf der Bühne beklagen, auch heute seien wir wieder so weit wie in den 20ern in Berlin, „in Reinickendorf, in Steglitz, in Charlottenburg“, überall seien sie auch heute wieder, das war grotesk. Und ich dachte spontan: Habe ich da etwas verpasst? Ist die NSDAP jetzt wieder erlaubt und strebt nach der Machtübernahme? Oder meinen die Helden auf der Bühne etwas anderes, so kurz vor der nächsten Bundestagswahl?
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