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Der Elefant im Raum: Die Szenarien für ein Ende des Ukraine-Krieges

Hiroshima nach dem Atombombenabwurf 1945.

von THILO SCHNEIDER

BERLIN – Jetzt ist es also amtlich: Der Bundestag wird schwere Waffen an die Ukraine liefern und das Füllhorn der deutschen Rüstungsschmieden und Steuergelder über dem angegriffenen Staat ausschütten. Flankiert wird die Aktion von treuherzigen Bekenntnissen aller Völkerrechtler (und solchen, die es hätten werden können), dass dies aber doch um Himmelswillen kein Kriegseintritt sei.

Fernab davon, dass ein Wladimir Putin keinen profunden Grund braucht, um ein Land zu überfallen, stellt sich doch die Frage, was denn damit bezweckt werden soll? Die Antwort ist so einfach wie kompliziert: Die Ukraine soll diesen Krieg gewinnen.

Nun ist das mit dem „Gewinnen“ so eine Sache: Wann ist denn ein Krieg gewonnen?

Nach alter Lesart wäre dies dann der Fall, wenn eine Kriegspartei aufgibt, einen Stückchen ihres Territoriums abgibt und eine Reparation zahlt. So weit, so einfach.

Als die Alliierten 1813 in Paris (und noch einmal 1815) einmarschierten, war die Sache klar. Als die Österreicher 1866 und die Franzosen 1871 kapitulierten, ebenfalls. Auch als Deutschland 1918 das Elsass verlor und 1945 ein Drittel seines Ostterritoriums „unter polnische Verwaltung“ zu stellen gezwungen war, ebenfalls. Auch, als sich Saigon ergab oder als die Amerikaner durch Bagdad rollten. Der Rückzug aus Kabul war ein klarer Sieg der Taliban, die jetzt zwar das Land erobert haben, denen aber außer der Unterdrückung von Frauen und Andersgläubigen auch nicht viel einfällt, wie das Land wieder auf die schwachen Beine kommt, auf denen es während der westlichen Besatzung stand.

Wann also hätte denn die Ukraine gewonnen? Oder wenigstens Russland verloren? Die gängige Lesart sieht so aus, dass sich die Russen komplett aus der Ukraine – inklusive Krim – zurückziehen. Das wäre tatsächlich nur der Fall, wenn die russische Armee komplett geschlagen würde. Ein Ding der Unmöglichkeit. Zumal dies bei der Unberechenbarkeit von Putin auch zu einer wenigstens kleinen Atombombe auf eines der ukrainischen Zentren führen würde. Die Ukraine hätte gewonnen, müsste aber auf wenigstens eine Metropole „verzichten“ und müsste, wenn sie keinen jahrzehntelangen Bürgerkrieg auf ihrem Territorium haben will, tatsächlich ethnische Säuberungen von Russen durchführen.

Damit sind wir bei Szenario Zwei: Die Ukraine schafft es, die russischen Streitkräfte zu vertreiben und führt keine ethnischen Säuberungen durch.

Jahrzehntelanger Terror und immer wieder aufflammende Kämpfe wären die Folge. Dieses Spiel liefe so lange, bis die russische Armee zu einem erneuten Schlag stark genug ist. Dies wäre ebenfalls kein Sieg, sondern, wie nach dem Ersten Weltkrieg in Deutschland, ein „Waffenstillstand“ auf 20 Jahre.

Szenario Drei: Beide Seiten sind derart erschöpft, dass es zu einem Waffenstillstand kommt, der Konflikt also eingefroren wird. Die Russen behalten den Donbass, die Trümmerwüste um Mariupol geht zurück an die Ukraine, die Krim verbleibt bei Russland. Jetzt werden die Russen in den Donbass-Republiken ethnische Säuberungen durchführen, um ebenfalls jahrzehntelange Konflikte zu vermeiden. Die Ukraine wird diese „Kröte“ schlucken müssen, wenn sie keine weiteren Angriffe auf ihr Territorium aushalten will. Meiner Ansicht nach ist dies das wahrscheinlichste „Siegesszenario“ der Ukraine. Reparationen zahlt übrigens der Westen nach Kiew, die Russen werden dies nicht tun. Die Ukraine tritt zwar der EU, nicht aber der NATO bei oder verpflichtet sich zur Neutralität.

Die Frage ist immer, inwiefern die Russen mitspielen. Moskau kann sich eine Niederlage nicht leisten, hat aber wenigstens seinen Sieg definiert: Die Ukraine vom Schwarzen Meer abzuschneiden und Transnistrien (gute Güte: Transnistrien!) zu „befreien“. Als Bonus könnte es einen Regierungswechsel in der Ukraine oder sogar die Besetzung der kompletten Ukraine obendrauf geben. Mit einem „Patt“, also dem Erhalt der Krim in Russland und einem Verzicht auf den Donbass dürfte sich Russland nur zufriedengeben, wenn es tatsächlich militärisch keinesfalls weitergeht und keinesfalls gegen die Ukraine gewonnen werden kann.

Eine diplomatische Lösung könnte demnach tatsächlich darin bestehen, Russland die Krim und den Donbass zu überlassen, dafür aber die Ukraine in Nato und EU aufzunehmen. Ein Kompromiss, der wenigstens beiden Seiten nicht gerecht wird und der ebenfalls auf Dauer zu einem erneuten Krieg führen könnte.

Und genau das werden wir auch sehen: Es wird keine ukrainische Siegesparade auf dem Roten Platz geben und Russland wird die komplette Ukraine bestenfalls besetzen, aber niemals beherrschen können. Putin ist auf sich selbst hereingefallen und hätte wissen müssen, dass er zwar den Beginn eines Krieges, niemals aber sein Ende bestimmen kann.

Es bleibt die Hoffnung, dass der Westen nicht die gleichen Fehler wie in Afghanistan oder dem Irak macht und letztlich seine Truppen und Ressourcen in einen Konflikt steckt, dessen Ende er nicht definiert und dessen Ziel vollkommen unklar ist. Aber ich zweifle daran. Russland kann es sich aus geostrategischen Gesichtspunkten vom Grunde her gar nicht leisten, die Ukraine „dem Westen“ zu überlassen. Die komplette russische Militärgeschichte zeigt, dass der Faktor „Entfernung“ immer zu den russischen Siegen – oder wenigstens zur Vermeidung totaler Niederlagen – beigetragen hat. Seien es Schweden, Franzosen oder Deutsche gewesen, die den „Marsch auf Moskau“ angetreten haben. Und wenn dieses strategische Vorfeld Russland wegfällt, wird dies Moskau immer in Alarmbereitschaft halten, und es wird immer bestrebt sein, dieses Vorfeld zurückzuerlangen. Auf die ein- oder andere Weise.

Wären Sie und ich ein böser Diktator und an Putins Stelle… Also, ich würde meine Finger über dem Roten Knopf wenigstens kreisen lassen und mir ein unwichtiges, aber sympathisches Ziel aussuchen… Als Drohung an den Westen und um die Reste der ukrainischen Regierung an den Verhandlungstisch zu zwingen. Ich hoffe, dass Putin nicht so böse ist, wie ich es wäre, wenn ich einen selbst angezettelten Krieg auch final gewinnen wollen würde. Und diese Drohung steht als sichtbarer Elefant heute mehr denn je im Raum.

Hätte Hitler seinerzeit die Atombombe schneller als die Amerikaner gehabt – wer glaubt, dass er sie NICHT eingesetzt hätte…?

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Klaus Kelle, Chefredakteur