Erwartung: hoch! Ergebnis: Naja! Wer´s mag – Napoleon
Wenn sich zwei Giganten des Historienepos zusammentun, um ein Historienepos zu drehen, dann darf Großes erwarten werden. Ridley Scott und Joaquin Phoenix sind so ein „Dream Team“, die der Welt im Jahr 2000 den „Gladiator“ (zusammen mit Russel Crowe in einer der beiden Hauptrollen) beschert haben. Unvergessen ist hier die Anfangssequenz des Films, wenn die römischen Legionäre den Angriff der Germanen erwarten, wenn Ruhe vor dem Sturm herrscht und dann plötzlich ein Chaos aus Feuer, Blut und Schlachtenlärm entfesselt wird. Da sitzt Du dann im Kino und bist mittendrin, statt nur dabei und Du denkst Dir: Ja, so muss es ausgesehen haben, so muss es gewesen sein.
Dementsprechend hoch sind natürlich die Erwartungen 23 Jahre später, wenn sich zwei derartige, filmisch gereifte Vollprofis daran machen, das Leben einer der größten und schillerndsten Figuren der Geschichte zu verfilmen: Napoleon.
Eine grandiose, persönliche Enttäuschung
Daher basiert diese Filmkritik auf den Erwartungen an den Film, an die Umsetzung, an die Geschichte an sich und, es tut mir leid, dies sagen zu müssen, sämtliche Erwartungen wurden grandios enttäuscht.
Das liegt zum einen am Stoff selbst: Napoleon war eine extrem komplexe Figur, dessen Handlungen bis in die heutige Zeit hineinreichen. Der junge Napoleon war zu seiner Zeit ein charismatischer Popstar, in seinen späteren Jahren wechselweise Reformer und Tyrann, blutrünstiger Diktator, hervorragender Feldherr, bis hin zu Waterloo dann nur noch ein Schatten seiner selbst, einer, der nicht wusste oder wissen wollte, wann er verloren hatte, einer, der von den Lorbeeren vergangenen Ruhms zehrte und seine Restzeit in der Verbannung damit verbrachte, sich selbst ein Denkmal zu setzen und sich kindische Grabenkämpfe mit seinem englischen „Kerkermeister“ zu liefern.
Der Rolle nicht gewachsen: Joaquin Phoenix
Und all das, all diese Komplexität, die Schlachten, dieses intensive Leben und Erleben, sieht man in „Napoleon“ genau nicht. Die Schuld für das Versagen von „Napoleon“ hat viele Gründe: Die Zeit, um die Figur Napoleon bis hin zu seinem Tod komplex zu entwickeln, hat Ridley Scott nicht. Dann ist Joaquin Phoenix, der den Commodus im „Gladiator“ als bösartigen Narzissten spielte und im „Joker“ als Psychopath brillierte, der Rolle schlicht nicht gewachsen, wobei dies sowohl seinem Alter als auch der Drehbuchvorgabe von Ridley Scott geschuldet sein dürfte.
Allein schon, dass Ridley Scotts Napoleon einen grotesk übergroßen Hut tragen muss, macht ihn zu einer Witzfigur, einer Art Joker oder Bajazzo und Joaquin Phoenix spielt ihn auch genauso. Zeitweise hatte man als Zuschauer das Gefühl, dass Captain Sparrow in der „Fluch der Karibik“-Reihe historisch authentischer war als dieser Napoleon. Joaquin Phoenix spielt seinen Napoleon als Hampelmann, der vor Josephine wie ein Depp um Sex winselt und dabei kleine Quietschlaute ausstößt, ja, dass sein gesamtes Handeln als Kaiser und Mensch überhaupt nur darauf beruht, dass er über Josephine wie über seinen Besitz wacht. Dass er seine Armee mitten im ägyptischen Feldzug verlässt, um seine untreue Ehefrau in die Schranken zu weisen und sich von ihr nach vorgebrachter Beschwerde mit dem Satz „Du bist nichts ohne mich, sag es!“ auch noch demütigen lässt.
Hier hätten computergenerierte Bilder gut getan
Der Film geht bereits in den ersten 20 Minuten schief, als der knapp 50-jährige Joaquin Phoenix einen 24-jährigen Napoleon spielen soll, jung, voller Ehrgeiz und Tatendrang und Ridley Scott ihn dabei wie einen alten Heckenpenner aus dem Trailerpark aussehen lässt und von dem es völlig unklar ist, wieso ihn ausgerechnet eine Josephine (mit zerrupfter Punkfrisur), die beste Verbindungen in den alten und neuen Adel Frankreichs hat, als alte, hässliche Figur mit lächerlich großem Hut auf irgendeine Art begehrenswert finden sollte. Der junge Napoleon war ein gutaussehender Mann mit mittellangen Haaren, sicher kein großer Redner und sicher auch niemand mit geschliffener Etikette, aber dennoch charmant und aufmerksam. Was er nicht war, war ein gehemmter Eigenbrötler ohne jede Ahnung, wie man eine Frau anspricht. Phoenix´ Darstellung macht aus ihm einen gehemmten Clown ohne jedes Charisma, der fast schon wie ein Autist wirkt.
Ein bisschen CGI, das Gesicht und Statur verjüngt, hätte da dem alten Phoenix und dem jungen Napoleon und dem Film insgesamt viel Gutes tun können.
Geschichtenerzählen nach Abhakliste
Scott hat keine Zeit und so reiht sich hier nur Schlaglicht an Schlaglicht: Die Niederschlagung des Royalistenaufstands – zwei Minuten. Der Staatsstreich mit Hilfe der Grenadiere – zwei Minuten. Die Verhandlungen mit Barras und Talleyrand über das Konsulat, die Kaiserkrönung … alles wird hastig wie auf einer Strichliste abgehakt. Über den Charakter Napoleons und wie sich der Mann in den 30 Jahren seiner Herrschaft entwickelt hat, erfährt der Zuschauer so gut wie nichts. Wie auch! Dieser Napoleon ist nicht der Napoleon aus der Geschichte, sondern das Abziehbild einer Comicfigur. Als hätte Scott „Sponge Bob Schwammkopf als Napoleon“ real verfilmt
Ja, aber die epischen Schlachtenszenen? Was ist damit?
Entschuldigung, aber: Vergessen Sie es. Es gibt ein paar getarnte Geschütze zu sehen, die dann mit Kugeln bei Austerlitz Russen und Österreicher unters Eis schießen, die Ertrinkenden werden irgendwie nice und fast schon ästhetisch von Unterwasserkameras beim Einschlagen der Kanonenkugeln und beim blutigen Sterben gefilmt, bei Borodino reitet Napoleon mit gezogenem Säbel einer Kavallerieattacke voran und bei Waterloo finden sich die Franzosen hinter Schanzen und in einer hübschen Zeltstadt, von der sie dann brüllend Angriffe gegen die englischen Linien starten. Das ist für zwei Minuten ganz hübsch anzusehen – hat aber nichts im Entferntesten mit der Wirklichkeit oder wenigstens auch nur der Intensität des Germanenangriffs aus „Gladiator“ zu tun.
Ein seltsamer Typ, aber nicht Napoleon
Scott hat tatsächlich eben KEINEN Film über Napoleon, sein Leben, sein Lieben und seine Schlachten gedreht, sondern über einen seltsamen Typen, der in Ajaccio im Jahr 1769 geboren ist, aber im Haus neben den „Buonapartes“. So wie es in „Life of Brian“ nicht um Jesus, sondern um einen Typen, der im Stall nebenan geboren ist, geht.
Sicher mögen einige nun mit „künstlerischer Freiheit“ argumentieren, aber dann darf ich eben keinen Film mit dem Titel „Napoleon“ drehen, sondern muss ihn, meinetwegen, „der verrückte Trottel mit dem Hut, der die Welt erschreckte“ nennen oder, wie in 300, ausdrücklich eine Comic-Adaption fabrizieren. Dann geht das in Ordnung.
Für Historiker ist der Film eine Katastrophe. Es fehlen wichtige geschichtliche Ereignisse. Für die Freunde militärischer Schlachtenmalerei ist der Film ebenfalls ein Desaster: Bei jeder Geschichtsdarstellung zum Jahrestag der Völkerschlacht oder Waterloo lassen sich hier authentischere Bilder und Filme machen. Sogar Psychologen dürfte dieser Napoleon-Charakter mit der Dimensionalität eines Donald-Duck-Taschenbuchs laut auflachen lassen. Vor Verzweiflung.
Es gibt weit bessere Verfilmungen
Vielleicht liegt es auch, wie eingangs gesagt, an der Erwartungshaltung. Speziell was Napoleon, seinen Charakter und seine Schlachten betrifft, heißt das Problem Scotts „Bondarchuck“. Dessen „Waterloo“ – Film von 1970 zeigt in seinen rund zwei Stunden eine einzige Schlacht: Dies aber derart detailliert und mit derart feinen Charakterzeichnungen der beiden Kontrahenten Napoleon (Rod Steiger) und Wellington (Christopher Plummer), dass sich jeder andere und nachfolgende „Napoleon“-Film daran messen lassen muss. Bei Sergei Bondarchuck bekämpfen sich da nicht nur zwei vollkommen unterschiedliche Armeen, sondern auch zwei vollkommen unterschiedliche Charaktere – und dies mit einer historischen Exaktheit und in derart gewaltigen Bildern, dass Scott hier eher wie jemand wirkt, der verzweifelt einen „Anti-Kriegs-Film“ drehen wollte, in dem ein Typ namens Napoleon so krachend wie seine Eisdecke bei Austerlitz einbricht.
Wenn Sie als meinen, sich unbedingt „Napoleon“ ansehen zu müssen, weil wegen Scott und Phönix: Gehen Sie. Aber sagen Sie nicht, Sie seien nicht gewarnt gewesen.
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Klaus Kelle, Chefredakteur