«Freche» Viehräuber: Schakale in Rumänien in der Schusslinie
von KATHRIN LAUER
MALIUS – Wäre dieses Geräusch nicht so langgezogen, könnte man es auch für einen Hahnenschrei halten. Aber das hohe Winseln im rumänischen Donaudelta-Dorf Maliuc an diesem Frühlingsmorgen, noch im Dunkeln, zwischen fünf und sechs Uhr, dauert deutlich länger als der Morgengruß des Gockels. Es klingt nach Schakalgeheul, was hier durch die geschlossenen Fenster dringt, bei prasselndem Regen.
«Die Schakale werden immer frecher, sie haben keine Scheu mehr, sie schauen dich an und fordern dich heraus», schimpft der Bauer Vasile Staicu. Ginge es nach ihm, bekäme jetzt hier jeder ein Gewehr, um damit sofort jeden Schakal zu töten, der ihm über den Weg läuft. Regulär ist die Jagd nur in organisierten Gruppen erlaubt, mit einer jeweils für drei Tage geltenden Genehmigung. «25 Kälber haben mir die Schakale allein schon in diesem Jahr gerissen, im vorigen Jahr waren es 40», klagt Staicu, Züchter einer stattlichen Herde von 500 Rindern. «Zehn Hühner haben sie mir gefressen, jetzt habe ich nur noch sieben Hennen und einen Hahn», listet er weiter auf.
Schätzung: 117.000 Goldschakale europaweit
In Rumänien wie auch in anderen Teilen Europas breiten sich die Goldschakale aus. Auf 117.000 Exemplare europaweit schätzte das Experten-Netzwerk Large Carnivore Initiative for Europe ihre Zahl im Jahr 2019 – neuere Daten gibt es nicht. Auch in Deutschland sind sie – vergleichsweise selten – präsent. Und sogar im kälteren Skandinavien wurden schon welche gesichtet.
In Rumänien sollen es derzeit fast 29.000 sein. Um die Wende von den 1960er zu den 1970er Jahren habe der Schakal-Zug nach Rumänien aus zwei Richtungen begonnen: Über Bulgarien und vom Kaukasus her seien sie aufgrund des Klimawandels gekommen, sagt Mihai Marinov, Biologe am Donaudelta-Forschungsinstitut in Tulcea, der größten Stadt der Region.
Seit etwa zehn Jahren sollen sie vor allem im Donaudelta in den Bauernhöfen immer wieder Schaden anrichten. Die Medien sind voller Geschichten darüber – mitgeprägt wohl vom schlechten Ruf der Schakale aus der Mythologie: Im alten Ägypten waren sie «Totenbegleiter», in der Bibel werden sie mit Ödnis, Armut und Verderben assoziiert.
In seinem Smartphone hat Bauer Staicu grausame Fotos von Jungrindern, die Schakale übel zugerichtet haben sollen: Bisse in den Bauch und ins Maul, herausgebissene Zungen, aber auch lebendig gebliebene Kühe, denen die Schakale das Euter weggefressen haben sollen. Ähnliches berichtet Bauer Ionel Radion: Zwei seiner Kälber in diesem Jahr und zehn im vorigen seien gerissen worden. «Die Schakale sind in den Stall eingedrungen. Meine hundert Hühner lasse ich inzwischen nicht mehr frei herumlaufen, ich halte sie wie im Gefängnis, hinter Ziegelmauern, mit einem Zaun aus Metallnetz.»
Traditionell laufen im Donaudelta Rinder, Schafe und Nutzgeflügel frei auf den Weiden herum – und dies unbewacht, Tag und Nacht. Diese in vielen Teilen Rumäniens übliche Art der Tierhaltung sieht der Ökologe Ovidiu Banea als Hauptgrund für die schelle Vermehrung der Schakale. «Die Kühe kalben auf der Weide und hinterlassen dort die Plazenta. Diese fressen die Schakale und interessieren sich dann auch für das Kalb», sagt er.
Ein Problem sieht darin auch die Schakal-Forscherin Jennifer Hatlauf vom Institut für Wildbiologie und Jagdwirtschaft der Universität für Bodenkultur Wien. Andererseits: Auch in Mitteleuropa weiden Nutztiere draußen. «Wir haben unter anderem auch in Österreich, Deutschland und Dänemark bereits Risse von jungen Schafen und Ziegen vermerkt. Das ist aber nicht als Hauptnahrung von Goldschakalen zu sehen. Dieser ist ein Generalist, der in der Regel frisst, was leicht zu erbeuten ist», sagt Hatlauf.
Jagd im Familienverband
Der Schakal, der auch Aas und Pflanzen frisst, jagt eher kleinere Säugetiere, wie etwa Mäuse und Ratten. Eine Kuh ist in der Regel eine Nummer zu groß für ihn, an ein neugeborenes Kalb wagt er sich aber wohl. Bis zu zehn Kilo wiegt der Schakal. Er ist größer als ein Fuchs, kleiner als ein Wolf und geht meistens nachts im Familienverband auf die Jagd.
Der Ökologe Banea zeltet mehrmals jährlich mit einer Gruppe von Biologen für ein paar Tage im Donaudelta, um Aufschluss über die Zahl der Schakale zu bekommen. Dazu benutzt er ein Megafon, mit dem in der Wildnis Schakal-Geheul simuliert wird. Dabei wird beobachtet, ob und wie viele Schakale antworten. Ähnlich gehen die Kojotenforscher in den USA vor.
Nach Meinung des Biologen Marinov ist aber vor allem der chaotische Umgang der rumänischen Bauern mit tierischem Müll eine Attraktion für die Schakale. «Sie schmeißen ihre verendeten Katzen, Hühner und Ferkel einfach an den Dorfrand, anstatt sie vorschriftsgemäß zu verbrennen», klagt er. «So lernen die sehr intelligenten Schakale schlechte Gewohnheiten, sie machen die Dorfränder zu ihren Territorien. Nachdem sie den Müll verzehrt haben, finden sie auch offene Stalltüren».
Den Angaben der Bauern über Schäden traut Marinov trotzdem nicht ganz: «Sie dämonisieren die Schakale. Wir haben unter ihnen eine Fragebogen-Aktion gemacht. Beim Nachfragen haben wir nachher mitunter festgestellt, dass die Angriffe auch von Rotfüchsen hätten stammen können, oder von den vielen verwilderten Hunden, die uns hier Probleme machen. Manchmal waren die Schadensmeldungen auch reine Erfindungen.» Für unbewiesen hält Marinov auch die in Rumäniens Medien kursierende Schauergeschichte über Schakale, die am Friedhof im Donaudelta-Dorf Caraorman in den Gräbern nach Nahrung gewühlt haben sollen.
Marinov: Wissen viel zu wenig über Verhalten der Goldschakale
Noch wisse man viel zu wenig über das Verhalten der Goldschakale im Delta, schrieb Marinov 2022 als Co-Autor eines Artikels in der Fachzeitschrift «Acta Zoologica Bulgarica». Dazu gebe es nur eine Doktorarbeit aus dem Jahr 2004, für die der Mageninhalt von 68 Tieren untersucht wurde. Dabei habe sich unter anderem herausgestellt, dass sie im Müll nach Futter suchen. Denn in manchen Mägen fand man Plastik und Papier. Nun aber sollen die Untersuchungen erneuert und verstärkt werden. «Wir wollen jetzt 150 Schakalmägen haben – dazu haben wir einen Vertrag mit dem Jagdverein geschlossen», sagt Marinov.
Die Jagd als Mittel gegen Schakale hält Marinov aber für völlig ungeeignet, ja geradezu für kontraproduktiv: «Wenn ihre Zahl künstlich verringert wird, bekommen sie einfach mehr Junge.» Dies zeigten auch Studien aus Bulgarien, fügt seine Kollegin Hatlauf hinzu. Auch die offiziellen Zahlen aus Rumänien sprechen dafür: Von 2017 bis Anfang dieses Jahres stieg die Zahl der Goldschakale nach Angaben des Umweltministeriums von geschätzten rund 12.500 auf rund 28.900 – obwohl jedes Jahr mehrere Tausend erlegt wurden. Einen Knick nach unten gab es 2019 mit einem Bestand von nur rund 10.500 Tieren. Nur ein Jahr danach schoss die Zahl der geschätzten Exemplare wieder auf rund 17.500.
Schakalweibchen können zwei, aber auch sechs bis sieben Welpen in einem Wurf bekommen, je nach Ernährungslage. Deswegen ist nach Marinovs Meinung die Einschränkung ihrer Nahrung – durch kontrolliertere Viehhaltung und vor allem durch eine ordnungsgemäße Entsorgung von Tierresten – die einzige Möglichkeit, die Verbreitung der Schakale einzudämmen.
Verschwinden der Wölfe als Ursache für Schakal-Überpopulation?
Ganz anders denkt darüber Viorel Rosca, Direktor des Nationalparks Macin-Gebirge, der an das Donaudelta grenzt. Er hält die Bauern für völlig unschuldig, zumal ihr Stil der Viehhaltung jahrhundertelang in der Region praktiziert worden sei, ohne dass dies Schakale angezogen hätte. Rosca hält das Verschwinden der Wölfe, die während des Kommunismus im Delta durch Jagd fast ausgerottet wurden, für die Ursache der Schakal-Überpopulation. Deswegen will er nun dort Wölfe ansiedeln, damit diese die Schakale vertreiben. Die Wissenschaftler sind sich einig darüber, dass Schakale und Wölfe um fast dieselben Beutetiere konkurrieren.
Schakale gehen Wölfen aus dem Weg, weil sie sich instinktiv von ihnen bedroht fühlen. Aber ebenso einig sind sich die Experten, dass ein Wolf wohl kaum einen Schakal fressen würde. Allenfalls würde er ihn als Konkurrenten umbringen. Dass die Ansiedlung von Wölfen sinnvoll sei, bezweifelt der Forscher Marinov. Rinder und Schafe würden durch die Wölfe erst Recht in Gefahr geraten, meint er. Ähnlich denkt der Bauer Staicu: «Es würde heißen, dass wir den Teufel vertreiben und dafür seine Mutter holen.»
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Klaus Kelle, Chefredakteur