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Ganz anders, als Atheisten sich das wünschen

Kollektives Halbwissen: Wie es mit Galilei und dem Vatikan wirklich war

MARTIN EBERTS
FOTO: depositphotos/matintheworld Der große katholische Astronom Galileo Galilei.

Am 15. Februar jährt sich zum 460. Mal der Geburtstag von Galileo Galilei. Eigentlich ein Festtag für Kirchenkritiker aller Art, wird doch dieser Universalgelehrte des 16. Jahrhunderts – den heute alle kumpelhaft nur noch „Galileo“ zu nennen scheinen, so als sei er ein persönlicher Freund – immer wieder gern als Kronzeuge benannt, wenn es darum geht den Nachweis anzutreten, dass die Katholische Kirche eigentlich immer schon rückständig, fortschrittsfeindlich und repressiv gewesen sei. Bei Lichte betrachtet hat die Sache aber einen Haken – besser gesagt mehrere.

Zunächst einmal würde sich Galilei die Vereinnahmung durch Atheisten-Verbände und andere neue und alte Kirchhasser energisch verbitten.

Galileo war gläubiger Katholik

Es ist zwar bekannt, dass unser Freund Galileo kein einfacher Charakter war und zeitlebens eine gewisse Neigung zu übertriebener Selbstdarstellung zeigte. Manche Kritiker haben ihm sogar Täuschung und Unaufrichtigkeit unterstellt; so soll er wahrheitswidrig die Erfindung eines Fernrohrs als sein eigenes Werk ausgegeben haben. Aber wie fragwürdig sein Charakter zuweilen auch gewesen sein mag, war er doch ein gläubiger Mann; hätte er gewusst, was aus seinem „Fall“ gemacht werden würde, sein Widerspruch wäre laut gewesen.

Zum Zweiten eignet sich der „Fall Galilei“ denkbar schlecht, um ein Schreckbild inquisitorischer  Repression zu zeichnen. Seltsamerweise fehlt sein Name nie, wenn die Grausamkeit der römischen Inquisition angeprangert wird. Der Mann hat aber nicht einen einzigen Tag in Inquisitionshaft gesessen, und sein Hausarrest war dermaßen komfortabel gestaltet, dass die meisten seiner Zeitgenossen sich solche luxuriösen Lebensumstände wohl sehnlichst gewünscht hätten.

Der päpstliche Hof: Tummelplatz der Geistesgrößen

Die milde Vorzugsbehandlung des verurteilten Galilei wird verständlich, wenn man weiß, dass der päpstliche Hof jener Zeit ein Tummelplatz der Geistesgrößen war, ein Dorado des Mäzenatentums für Forscher aller Fachrichtungen, wo ein Nikolaus Kopernikus verehrt und seine und Tycho Brahes oder Keplers Forschungen begierig diskutiert und erörtert wurden. Nur musste man sich an bestimmte Spielregeln halten – ähnlich wie es heute mit der „Political Correctness“ in Forschung und Lehre auch der Fall ist.

Um nicht anzuecken reichte es damals, wenn Behauptungen und Theorien, mochten sie seinerzeit noch so wild und unorthodox klingen, eben als „Theorien“ bezeichnet wurden und nicht als unumstößliche Fakten, die keinen Widerspruch dulden – keine unerträgliche Gängelung eigentlich, fast liberaler sogar als die heutige „Cancel Culture“ an manchen Unis. Auch Einsteins Relativitäts-Theorie wird noch immer so genannt, obwohl niemand mehr an ihr zweifelt. Doch war Galilei eben nicht bereit seine Erkenntnisse nur als Theorien zu bezeichnen, denn er war von ihrer unumstößlichen ewigen Wahrheit so überzeugt, dass er ein solches Ansinnen als Zumutung und Beleidigung seiner Größe ansah – auch in den Fällen, in denen er irrte, wie bei seiner völlig abwegigen Theorie über Kometen.

Es kommt noch ein persönliches Element hinzu

Einer der größten Verehrer, Förderer und Protektoren Galileis war Maffeo Barberini, seit 1623 Papst Urban VIII. Selbst hochgebildet und ein glühender Verehrer der Wissenschaften, hat dieser Papst alles versucht, um sein Idol Galilei zu unterstützen und, als dieser dabei war, sich in die Nesseln zu setzen, vor Strafverfolgung zu schützen. Galilei versprach seinem großzügigen Freund denn auch eine Schrift, die dem Comment jener Zeit entspräche. Doch konnte er nicht widerstehen, in dieser berühmt gewordenen, literarisch verfremdeten Abhandlung ausgerechnet seinen größten Bewunderer und wichtigsten Beschützer Barberini zu verspotten und als tölpelhaften „Simplicio“ auftreten zu lassen. Damit hatte er den Bogen überspannt.

Und damit war zugleich eine der erfolgreichsten „schwarzen Legenden“ aller Zeiten geboren, in welcher Galilei die Rolle des strahlenden Helden der Wahrheit und Freiheit übernahm und Barberini/ Urban VIII. die des Erzschurken. Die Katholische Kirche, die seinerzeit Wissenschaft und Forschung so hingebungsvoll gefördert hatte wie keine andere Institution, sie muss wegen des Falles Galilei die ewige Dunkelmänner-Rolle übernehmen. Und die meisten unserer Zeitgenossen sind heute noch fest davon überzeugt, dass der arme Galileo grausamste Strafen und furchtbare Folter ertragen musste.

Viele Atheisten verbreiten eine unsinnige Fiktion

Die Kirche wiederum hat sich nachträglich nicht nur reumütig gezeigt was ihre tatsächlichen Fehler in dieser Sache betrifft, sondern sich so weitgehend mit der Rolle des Bösewichts arrangiert, dass 1992 sogar eine offizielle Rehabilitierung Galileis für nötig befunden wurde. Dabei ist das Narrativ von Galilei als historisch maßgeblichem Befreier der Wissenschaft aus der Kerkerhaft finsterer Bigotterie nur eines: eine Fiktion. Diese ist freilich so tief in unserem kollektiven Halbwissen verankert, dass jeder Versuch der Aufklärung zum Scheitern verurteilt ist. Egal was die Fakten auch sagen, es bleibt dabei: Galilei steht für den Anfang der Befreiung des Denkens aus dem Zwang der Katholischen Kirche. Das ist zwar Unsinn, aber äußerst wirksamer.

Es scheint eine augenzwinkernde List der Geschichte zu sein, dass dem viel gescholtenen Barberini/Urban VIII. wenigstens indirekt (und gänzlich ungewollt) eine Art Wiedergutmachung zuteil wurde – ist doch der Name seines Geschlechts von Rom bis zu dem wunderbaren Museum Barberini in Potsdam gewandert und darin quasi verewigt. Wodurch er nun wieder in aller Munde ist, und das in ganz und gar positivem Sinne. Aber nicht weitersagen! Sonst wird das Haus bald in Galileo-Galerie umbenannt …

 

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Klaus Kelle, Chefredakteur