Mittendrin statt nur dabei: Mein Tag in Washington, als der Mantel der Geschichte wehte

von STEFFEN KÖNIGER, Washington DC
Wann erlebt man schon mal große Geschichte live und in Farbe, mittendrin statt nur dabei? Gut, bei Naturkatastrophen oder Terroranschlägen ist es ja erstmal besser, nicht so in der Nähe zu sein. Aber bei großen Politischen Ereignissen kann man schon gut planen, und wenn es im zweiten Ankauf ist.
Beim ersten, für mich völlig überraschenden, Wahlsieg von Donald Trump zum US-Präsidenten war es mir eine diebische Freude, am nächsten Morgen im Landtag von Brandenburg – damals noch als Abgeordneter dort – zur Aktuellen Stunde die erste Rede zu halten. In die völlig entgeisterten Gesichter sämtlicher anderen Politiker blickend, gratulierte ich zu Beginn dem amerikanischen Volk zur demokratischen Wahl ihres neuen Präsidenten.
Und so war für mich am Wahltag im November 2024, dass ich Ticktes buche, um bei der Amtseinführung des 47. Präsidenten der Vereinigten Staaten am 20. Januar dabei zu sein.
Erst das zweite mal in der Geschichte der Vereinigten Staaten gelang es einem zuvor abgewählten Präsidenten, erneut in das Amt zu gelangen. Und das wollte ich unbedingt mitereben.
So kam ich bereits einige Tage vorher in Baltimore an, keine 40 Kilometer von der Hauptstadt Washington D.C. entfernt. Bereits Tage vorher waren sämtliche Zugtickets der Amtrac ausgebucht und so musste ich auf den Bus umsteigen.
Fünf Uhr früh – man kann ja nie wissen
Die Wettervorhersage zwei Tage vorher erinnerte an deutsche Verhältnisse: ein riesiges Unwetter mit Schneemassen und arktischen Temperaturen wurde vorhergesagt, was die Organisatoren der Zeremonie zum Umzug in die Innenräume des Capitol veranlaßte. Zwar war es bei der zweiten Vereidigung von Ronald Reagan 1985 mit minus 15 Grad noch wesentlich kälter, aber damals war halt Winter – heute ist Klimawandel.
Der 20 Januar begann für mich also mit der Bustour nach Arlington auf der anderen Seite des Potomac. Wie es der Zufall wollte, nahmen hinter mir zwei Deutsche Platz. Leicht zu vernehmen denn Onkel Fabian Liss (44) gab seinem Neffen Allecio Ragusa (19) – beide aus Stuttgart – grade Textvorschläge für die Whatsappgruppe seiner Mitschüler und Lehrer durch.
Darauf angesprochen, brach Fabian in lautes Lachen aus: man wolle der linken Lehrerschaft nur zu kollektiver Schnappatmung verhelfen.
Die Sonne ging in den Augenblick auf, als wir am Jefferson-Memorial den Potomac überquerten und überzog die Stadtsilouette mit wunderbarem Licht. Was für ein Empfang!
Nahe Pentagon und Arlington-Heldenfriedhof war Endstation und ein Fußmarsch von rund einer Stunde lag vor mir. Bereit Kilometer vor dem weißen Haus war die Dichte von schwarzen Suburbans der Marke Chrysler höchst auffällig und nahm stetig zu, je näher wir dem Capitol kamen. Leider hatten die Veranstalter die erhoffte Parade auf der Pennsylvenia-Evenue zwei Tage vorher aus vielerlei Gründen abgesagt. Das tat der immer lauter und fröhlicher werdenden Stimmung aber keinen Abbruch.
Sehr strikt und teils laut kamen Anweisungen der Sicherheitskräfte, diese oder jene Straße keinesfalls zu überqueren. Entlang des schier endlosen drei Meter hohen Stahlgeflechtzauns war ein Vorantasten bis zur Paradestraße unproblematisch. Was dann jedoch folgte, glich einem Bienenstock. In zwei gegenläufigen Kreisen suchten die Besucher den Eingang zur Capitol One Arena, hatte Trump doch angekündigt, dort eine Rede zu halten – leider waren dafür Tickets notwendig, die nach wenigen Minuten vergriffen waren. Irgendwie gelangte ich an das Ende einer Schlange, deren geduldige Warter (ohne Ticket) hinter den Zaun an den einzig öffentlichen Großbildschirmen die Vereidigung verfolgen wollten.
Hier erzählte mir Grace Williams, eine Porsche-Händlerin aus Chicago, daß sie eigentlich mit ihren Töchtern Karten für die ersten Reihen vor dem Capitol von ihrem Senator bekommen habe. Nun stand die Frau mit mir und Tausenden Anderen in der Schlange. Direkt vor meiner Nase tauchte dann ausgerechnet ein ARD-Team auf. Die begleiteten einige Trump-Anhänger wohl schon länger – wie mir die Mikrofonträgerin erzählte. Ein Blick auf die Anhänger bestätige meine Vorahnung. Unser Qualitätsmedium hatte sich natürlich nicht für einen Geschäftsmann oder einen Farbigen entschieden, sondern filmte jemanden mit Felljacke und einem Trump-Mütze mit herunterklappbaren Ohrenwärmern.
Genau vor meiner Nase verschloß man die Tore
Der Platz sei voll und ohnehin war es schon kurz vor zwölf. Also schnell um die nächste Ecke, wo sich immer noch die mehrere Kilometer lange Menschenschlange für die Arena aufhielt. Das in diesem Augenblick der 47. Präsident der Vereinigten Staaten seinen Amtseid sprach, war dem aufbrandenden Jubel zu entnehmen. Solche pure Freude, Applaus und Menschen, die sich in die Arme fielen, habe ich nicht erwartet. Ein bisschen erinnerte mich das an die Freude in der Novembernacht 1989, als die Mauer fiel. Menschen tanzten hier auf der Straße zu „YMCA“, genau wie Trump mit dem Säbel in der Hand.
Diese Freude war auch Akari Mifune anzusehen
Die 20-jährige Japanerin aus Kyoto studierte für ein Semester internationale Wirtschaftsbeziehungen in Vancouver und absolvierte eine mehrwöchige Rundreise durch die USA. Auf die Frage, warum sie ausgerechnet bei soviel Trubel Washington D.C. besucht, fiel ihr die Antwort nicht schwer: sie habe extra alles so geplant, daß sie bei diesem Jahrhundertereignis dabei sein könne. Nach einer langen, interessanten Unterhaltung gingen wir zum Aufwärmen (die Temperaturen befanden sich bei zunehmendem Wind im freien Fall) in ein nicht komplett überfülltes Cafe und ich musste erstmal das Telefon aufladen.
So kam ich mit dem Steckdosennachbarn sehr schnell ins Gespräch. Bei ihm handelte es sich um Mike, einem Bauunternehmer aus Los Angeles, der gar kein Trump Wähler sei, wie er mir versicherte. Dies sein bereits seine vierte Amtseinführung, so der 47jährige. Er sei zwar nicht so begeistert von der Wiederwahl Trumps, aber mit Biden oder Harris wäre es noch viel schlimmer gekommen. Dann wünschte er uns beiden (inzwischen trugen wir rote „inauguration“ Mützen) noch viel Spaß in der Hauptstadt. Man stelle sich so einen Satz mal von einem Grünen-Wähler vor, der Dir im Cafe im Prenzlauer Berg mit einer blauen AfD-Kopfbedeckung begegnet…
Nun noch „schnell“ eine Runde um das Weiße Haus drehen und über das Capitol zurück zum Bahnhof. So der Plan, aber – böse Überraschung – Straßen immer noch komplett gesperrt und wieder fast die komplette Strecke zurück zum Washington Monument zu Fuß. Endlich die U-Bahn erreicht und fast am Ziel, da blieb der Zug kurz vorm Zielbahnhof stehen und weg war der Bus. Also nochmal zurück zur Union Station, die nur die Laufwege zu den Gleisen frei hatte. Sonst alle Läden zu und der Durst groß. Ein Blick auf das Thermometer ließ meine Partypläne erstarren. Keine Bar hat länger als bis 2 Uhr geöffnet, außerdem war heute Martin Luther King Gedenktag. Und wer will schon bei -15 Grad vor dem dann komplett geschlossenen Bahnhof stehen. Also einsteigen und sich zur letzten Herrenrunde des Abends gesellen: Chris, Matt und Damian waren stimmlich nicht mehr so gut drauf. Fotos zeigten mir, daß die drei es tatsächlich in die Arena geschafft haben und jetzt nur noch nach Hause wollten, New York.
Kurz vor Mitternacht endlich wieder in der Unterkunft. Und zufrieden mit der Entscheidung, hingefahren zu sein, wenn der Mantel der Geschichte weht….
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Klaus Kelle, Chefredakteur