Sunshine Reggae a la Playa: 1983 war der Hit-Sommer für die Ewigkeit
Das Jahr 1983 markiert den ultimativen Höhepunkt des Genres „Sommerhits“ – mit einem „musikalischen Schlachtruf“, dem Durchbruch von Italo-Disco und der Entstehung einer neuen Reggae-Variante. Kurios dabei: Pate für diese zeitlosen Ohrwürmer standen ein Autounfall, eine Atombombenexplosion und eine besondere Form von „kultureller Aneignung“.
Sonne, Strand, Cabrio-Fahrt, heiße Haut, kühle Drinks, Pool und Party – was wäre das ohne die passende Musik!? Wie genau sich ein „Sommerhit“ definiert, das wurde schon oft versucht, nach ganz unterschiedlichen Kriterien zu ergründen. Doch wer wissen will, wie Sommer klingt, braucht keine wissenschaftlichen Abhandlungen. Es reicht ein Blick gut vier Jahrzehnte zurück – oder besser gesagt: ein Lauschen.
1983: Bei den vorgezogenen Bundestags-Neuwahlen erreicht die Union fast die absolute Mehrheit, der Duisburger Jürgen Hingsen stellt einen neuen Zehnkampf-Weltrekord auf, und der Hamburger SV gewinnt den Fußball-Europapokal der Landesmeister. Was heute fast unglaublich anmutet, ist in den frühen Achtzigern Realität. Und das gilt auch und besonders für die Musikwelt: Die befindet sich seinerzeit nicht nur technisch in einer Revolution, auch künstlerisch ist alles möglich. Und während das Land unter Temperaturen von über 40 Grad ächzt (ja, damals schon!) und die Neue Deutsche Welle auf ihrem Höhepunkt schwappt, liefert das Jahr zahlreiche Hits für die Ewigkeit – und die sonnigste Jahreszeit gleich drei davon. Songs, in denen man in jedem Ton den Sommer fühlt!
Stadionhymne aus dem Rollstuhl
Dabei beginnt die Geschichte des ersten dieser Hits im tiefsten Winter – und wenig feierlich. Im Januar 1982 verunglückt Harry Wayne Casey, ein Pionier der amerikanischen Disco-Ära, mit seinem Auto. Der Namensgeber der vor allem in den späten Siebzigerjahren erfolgreichen „KC and the Sunshine Band“ erleidet dabei schwerste Verletzungen, bleibt zunächst teilweise gelähmt und auf den Rollstuhl angewiesen. Doch „KC“ bündelt seine Kräfte und kreiert noch in der Reha sein wohl größtes Werk: „Give it up“, das prägnante Akkorde, Ferienclub-reife Instrumentierung und ein einnehmender Refrain zum zeitlosen musikalischen Schlachtruf machen.
Da sich jedoch Caseys Komplikationen mit der Plattenfirma als größer erweisen als seine orthopädischen, dauert es bis zum Sommer 1983, bis der eingängige Song Charts und Radiostationen erobert. In Letzteren ist er bis heute ungebrochen präsent – ähnlich, wie in den Stadien der Welt, wobei in zahllosen Fangesängen die titelgebende Zeile meist ersetzt, wird durch den Namen eines gefeierten Vereins oder Sportlers.
Strandgang mit Atom-Apokalypse
Parallel zum US-funkigen „Nana nana…na na na“ von „KC“ erobert ein eckiges „O-oh-oho-ho“ aus Südeuropa die Tanzflächen und Schulhöfe. Mit „Vamos a la playa“ wird eine deutsch-spanisch-italienische Produktion zum Inbegriff des mediterranen Sommerhits. Eine Zufallsbegegnung hatte die beiden kreativen, aber bis dato kommerziell glücklosen Turiner Stefano Rota und Stefano Righi, die sich „Righeira“ nennen, mit den sizilianischen Brüdern La Bionda zusammengeführt, die bereits in den Siebzigern mit Hits wie „One for You, One for Me“ der Ausgeh-Welt die Tanzflächen-tauglichkeit südeuropäischen Sounds nahegebracht hatten. In München produziert man gemeinsamen den Song, der eine wegweisende neue Stilrichtung endgültig massenkompatibel macht: Italo-Disco – jenen Synthie-basierten Stampfsound, der trotz seiner zeitlich recht überschaubaren Hochphase wie kaum ein zweiter bleibende Musikwerte schaffen und sich zahlloser Remixe erfreuen sollte und bis heute in keinem DJ-Repertoire fehlen darf.
Dass dabei zwei Italiener spanisch singen, ist zu dieser Zeit nicht einmal eine Besonderheit. Der Text schon eher. In grellbunten Outfits und in Veitstanz-ähnlichen Bewegungen beträllern die beiden schrillen Interpreten nämlich eine Atombombenexplosion, die „strahlendes Wasser“ hinterlässt. Apokalypse in der Strand-Disko – allerdings verpackt in einem derart schmissigen Refrain, dass der sich hernach als Mitsing-kompatibel für praktisch alle Lebenslagen erweist.
Karibische Klänge aus Skandinavien
Im hohen Norden gibt es unterdessen einen gravierenden Fall von dem, was heutzutage einige wohl „kulturelle Aneignung“ nennen würden: Nachdem der Keyboarder Tim Stahl und der Gitarrist John Guldberg in den Anfangsjahren ihres Schaffens als „Laid Back“ lediglich in ihrer Heimat Dänemark erfolgreich gewesen waren, beleben sie nun ein Genre neu, das in Westeuropa bis dato eher ein gepflegtes Nischendasein fristet: Mit „Sunshine Reggae“ schaffen sie einen Song wie ein endloser Tag im Liegestuhl mit sandigen Füßen am sonnendurchfluteten Wasser – ein dermaßen wegweisenden Stück, dass sein Titel sogar namensgebend für ein eigenes Subgenre wird, das für Reggae mit einer positiven Message steht.
Sogar der große Udo Jürgens schickt mit „Die Sonne und Du“ einen plagiatsverdächtigten Nachdreher hinterher. Und mit „Sunshine Reggae auf Ibiza“ setzen Karl Dall, Helga Feddersen und Co. dem Song noch im selben Jahr sogar ein – wenn auch künstlerisch überschaubares – filmisches Denkmal. Wirklich überdauert hat freilich nur das Original. Warum? Weil es das tut, was es in seinem Text verspricht: „Let the good vibes get a lot stronger“ zu Deutsch: „Lass die guten Schwingungen immer stärker werden.“
Und das klappt bei den Sommerhits von anno ’83 garantiert – auch noch nach über 40 Jahren… .
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Klaus Kelle, Chefredakteur