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Vor 117 Jahren hatten Josef, Willi und Heinrich mal eine wirklich tolle Idee

Liebe Leserinnen, liebe Leser!

Es gibt Themen, die sind wichtig für ein Land und seine Menschen, selbst wenn manche auf den ersten Blick die Begeisterung nicht teilen. Genau gestern vor 117 Jahren trafen sich Josef Ferse, Willy Gies, Johann Kessel, Viktor Kroguhl, Heinrich Kullmann, Adolf Oetzelmann, Josef Seimetz und Willy van den Berg – alles Jungs im Alter zwischen 14 und 16 Jahren – um Geschichte zu schreiben. Deutsche Fußballgeschichte. Denn an diesem Tag organisierten sie im gleichnamigen Gelsenkirchener Stadtteil eine lockere Gruppe von Freizeitkickern, die sich „Westfalia Schalke“ nannte und sich für die Trikotfarben Rot und Gelb entschieden. Es war die Geburtsstunde eines besonderen Vereins mit einer wechselhaften Geschichte, mit Erfolgen und Niederlagen, Skandalen und herausragenden Spielern, Glücksrittern und schillernden Persönlichkeiten. Genau genommen reden wir über ein ganz wichtiges Stück der großen Geschichte des Ruhrgebiets.

Es dauerte bis 1909, da erfolgte der Eintrag ins Vereinsregister der Stadt Gelsenkirchen. Und dann ging es richtig los. Es gibt ganze Bücherwände voller Literatur über den großen FC Schalke 04, zu dem er später wurde (über den Umweg einer Fusion mit einem Turnverein zum Turn- und Sportverein Schalke 1877). Und weil es Wochen dauern würde, alle Anekdoten, alle Spieler-, Trainer- und Managertypen hier vorzustellen, beschränke ich mich heute auf die Bedeutung der blau-weißen „Knappen“ für die Region, das Revier, wie sie hier sagen.

Dass Schalke 04 mehrmals Deutscher Meister war, das wissen die Jüngeren gar nicht mehr. Das ist in der Politik vergleichbar mit Kohl oder Merkel, wo die Kinder denken, die sind einfach immer da. So lästern bei Schalke gegnerische Fans – wenn mal nicht Corona ist- in ihren Schmähgesängen von „50 Jahre, kein Schale“, obgleich ihre Vereine in der Regel überhaupt noch nie eine solche Schale erhalten haben.

Schalke 04, das ist der Pott, das ist Bergmannsromantik pur, das waren die grauen Reihenhäuser mit den Wäscheleinen, auf denen sich die Weißwäsche im Laufe des Tages beim Trocknen langsam in ein helles grau verwandelte wegen der Luft, die heutige Grüne in den Wahnsinn getrieben hätten.

Erlauben Sie mir, dass ich ganz holzschnittartig im Zeitraffer erwähne, dass Schalke 04 während der Nazidiktatur die erfolgreichste Fußballmannschaft war und die braunen Machthaber versuchten, das propagandistisch auszunutzen. Im Bundesligaskandal um das Verschieben von Fußballspielen gegen Schmiergeld war Schalke ebenso dabei, wie Schalke herausragende Nationalspieler für die deutsche Nationalelf stellte. Namen wie Torjäger Klaus Fischer, Ernst Kuzorra, Olaf Thon oder Manuel Neuer werden für immer unvergessen bleiben. Präsidenten wie der „Sonnenkönig“ Günther Eichberg oder Manager Rudi Assauer, der der Welt nicht nur einen modernen Proficlub mit einer modernen Arena hinterließ, sondern auf der Tribüne im Maßanzug, Sonnenbrille und qualmender Zigarre auch Sprüche rausheute wie: „Das Wort ‘mental’ gab es zu meiner Zeit als Spieler gar nicht, nur eine Zahnpasta, die so ähnlich hieß.“

Und damit komme ich zum Kern. Fußball, das sind nicht nur die Söldner im Trikot des Vereines, der gerade am besten bezahlt. Fußball, das ist Heimat, das ist Identität, das ist die Sprache im Gedränge auf dem Stadionklo in der Halbzeit, das ist das Verbindende, das Gemeinschaftsgefühl. Zehntausende Männer sitzen und stehen – die mit Sitzplätzen stehen meistens auch, wenn sie Männer sind – beim Spiel, recken wütend die Fäuste in den Himmel, brüllen aggressive Sprechchöre und schmähen, ja beleidigen die gegnerischen Spieler – viel zu oft über alle Grenzen politischer Korrektheit hinaus. Und dann sind sie glücklich, gehen noch ein Bier trinken in der Kneipe, Sportschau gucken, und dann kommen sie Heim zur Familie und sind wieder umgängliche Zeitgenossen.

Und jede Region hat diese Traditionsclubs, die man liebt oder hasst, aber immer achtet. Und die ihr Lokalkolorit kultivieren. Auf St. Pauli den Mythos der Freibeuter mit den martialischen Totenkopfflaggen, Schalke, Dortmund, Bochum, Duisburg auch Oberhausen und andere in der wunderbaren Bergmannstradition, die Kölner mit dem Geißbock (was sagen eigentlich Tierschützer dazu?) und dem immer gleichen nervigem Karnevalgesinge, Bayern in der Fankurve mit Lederhose und freiem Oberkörper und wenn in Dresden oder Rostock manchmal noch alte DDR-Fahnen wehen, ist das weniger zum Aufregen als einfach geschichtsvergessen, was der SED-Staat war. Freiburg ist auch schön, wo – damals zumindest – das schlechteste Pils Deutschland ausgeschenkt wurde, aber die gut gekühlten Grauburgunder aus öko-recyclebaren 0,4-Kunststoffbechern haben auch was. Menschen wie ich, treue Anhänger eines Provinzvereins aus Bielefeld? Unsere Zuschauer kommen angeblich mit dem Traktor zum Spiel, und Bielefeld gibt’s ja auch gar nicht. Hahaha, total lustig.

„Fußball ist keine Sache von Leben und Tod. Fußball ist viel mehr als das“, hat in den 70er Jahren sinngemäß mal Bill Skankly vom FC Liverpool gesagt. Da, wo sie vor dem Spiel inbrünstig so schön „You’ll never walk alone“ singen. So wie man auf Schalke das Lied vom „Königsblauen S 04“ inbrünstig singt.

In der Stadt der tausend Feuer,
lebt seit vielen Jahren schon,
der Traum vom FC Schalke
hier hatte Fußball Tradition.

Wenn Sie nicht verstehen, was ich meine, dann schauen Sie hier

Gestern vor 117 Jahren wurde dieser einzigartige Fußballverein gegründet, der bis heute trotz aller Stürme durchhält. Und ja, es ist ein trauriges Jahr für die Knappen, denn sie werden am Ende dieser Saison aus der Bundesluga in die Zweite abgestiegen sein. Aber Sie werden zurückkommen, ganz sicher. Und sicher schneller als der Hamburger Sportverein.

Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, FC Schalke 04!

Glückauf!

Ihr Klaus Kelle

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Klaus Kelle, Chefredakteur