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Hexen, Häretiker oder Rechte – es funktioniert immer

Wie eine Diktatur heranwächst – einfach das gesunde Volksempfinden entfachen

THILO SCHNEIDER
Marionetten im Griff behalten

So ziemlich jeder Diktatur wohnt die Eigenschaft inne, dass sie ein Feindbild braucht, gegen das sich die Massen mobilisieren lassen – damit sie nicht auf die Idee kommen, dass ihre Regierung und/oder Gesellschaftsform vielleicht nicht so prickelnd ist. Der Feind ist so schrecklich und so bedrohlich, dass er eigentlich nur als Tier existieren kann und entmenschlicht werden muss. Hierzu ist natürlich eine gemeinsame Kraftanstrengung des ganzen Volkes notwendig, unter der Ägide einer Führung, die „schon weiß, was zu tun ist“.

Er zieht sich durch die ganze Geschichte, der grausame und gemeine Feind, vor dem der gesunde Volkskörper Angst haben soll und muss

Ob es im Mittelalter die Hexen waren, später in allen Religionen die Ungläubigen, Häretiker und Ketzer, und natürlich und immer wieder gerne genommen: Die Juden, die Bolschewiken, die Faschisten, die Kommunisten. Im Nahen Osten ist es en vogue, Amerikaner und Juden zu hassen, hierzulande sind es auf jeden Fall die Russen, die unter ihrem speziellen Lord Voldemort unser aller Demokratie und Freiheit bedrohen – obwohl ich mich durch unsere russische Nachbarin jetzt nicht so bedroht fühle, weil sie backt wie Frau Holle persönlich.

All dieser Feinde kann eine Diktatur physisch habhaft werden: Ihre Symbole werden verbannt und verbrannt, letztlich wandern die staatlich definierten Staatsfeine bestenfalls in den Bau, schlimmstenfalls… nun ja. Und alle machen mit. Manche mehr – manche weniger. Der eine prügelt die Staatsfeinde zusammen, der andere meldet die unbedachte Bemerkung „nach oben“, der nächste fragt im Kindergarten, ob die Uhr in den Nachrichten bei den Minuten Punkte oder Striche hat. Gab es nur alle fünf Minuten einen Strich, war es die richtige „aktuelle Kamera“ ,bei Minten-Strichen war es der Feindsender „tagesschau“. So konnten selbst die Kleinsten auf den „Klassenfeind“ losgelassen werden. In einer demokratischen Republik.

Das Prinzip ist das Gleiche, aber die Methoden haben sich dramatisch verkleinert

Der heutige Feind unserer demokratischen Republik ist nämlich unsichtbar. Der verunsicherte Bürger sieht ihn nicht mehr, was noch mehr Angst erzeugt. Wie bekämpft man einen unsichtbaren Feind? Man hält sich, so einfach ist es, an die Regierung, die sich wiederum auf „die Wissenschaft“ beruft. Übrigens die gleiche Wissenschaft, die vor 80 Jahren Schädel vermessen hat und vor 400 Jahren der festen Überzeugung war, dass sich die Sonne um die Erde dreht. Diese Wissenschaft.

Die Feinde unserer offenen und fröhlichen bunten Gesellschaft sind die „Klimakrise“, Corona und natürlich alles, was „rechts ist“. Es geht ganz langsam los (wie im „Kanzler der Pudelmützen“ beschrieben): Hier eine Medienmeldung, da ein Artikel, dort ein Blogeintrag. Irgendetwas stimmt nicht. Es schneit beispielsweise nicht mehr permanent zwischen Dezember und März. Nur manchmal. Dann besteht die Möglichkeit, dass der Golfstrom sich weigert, weiterhin zu strömen und wir sehen wahnsinnige Hochwasser, weit unter den Pegelständen früherer Jahrhunderte.  Entweder haben wir zu viel oder zu wenig Regen, auf jeden Fall eine Katastrophe. Wichtig ist, zuerst einmal ein mulmiges Gefühl zu erzeugen und dieses dann zu einem Panik-Crescendo zu steigern. Kommt es erst einmal in der „tagesschau“ und im „Spiegel“, ist „der Käs gegessen“. Im wahrsten Wortsinne.

Also trennen Sie bitte ihren Müll, bauen Sie sich eine Solaranlage aufs Dach, wechseln Sie die Heizung, heizen Sie nicht mehr mit Holz, verkaufen Sie den Diesel nach Usbekistan und eigentlich wäre es auch ganz gut, Sie setzen keine Kinder in die Welt und hören selbst auf, zu atmen. Sie haben kein Haus, Sie haben eine Behausung, die Ihnen die Gemeinschaft und Ihre Bank zur vorübergehenden Nutzung überlassen haben und aus der für Sie Verpflichtungen erwachsen. Handeln Sie. Es genügt nicht, den Müll nur zu trennen, am besten vermeiden Sie ihn ganz und essen nur das, was auf dem Land Ihr Garten hergibt. In der Stadt ist das schwieriger, aber niemand hindert Sie, mit einem Schrebergarten Selbstversorger zu werden. Oder Ihre russische Nachbarin zu überfallen. Und hören Sie endlich auf, Plastikstrohhalme zu benutzen. Muss ja auch nicht sein.

Dann: Corona! Die Menschen sterben wie die Fliegen. Bums, pardauz, da liegen sie. Gestern noch Profifußballer in der Blüte seiner Jugend oder Alterspräsident, heute schon so mausetot wie das Eheleben nach 30 Jahren. Gehen Sie in Isolation. Gehen Sie auf die Couch und spielen Sie Netflix durch. Sie werden später einmal ein Held sein, wenn Sie beschreiben, dass sie zwei Jahre lang soziale Kontakte ängstlich gemieden haben, auch zu Hause mit Maske geduscht haben und sich natürlich jedwede Impfung stante pede geholt haben, sobald sie in der Hausarztpraxis verfügbar war. So haben wir damals, 2020 und 2021, gemeinsam Corona besiegt. Jawohl.

Und kaum hatten wie die Klimakrise (ein toller Dauerbrenner übrigens, der mit dem Waldsterben begann, sich über das Ozonloch fortsetzte und jetzt haben wir Klimaerwärmung. Oder Erkältung. Man weiß es nicht so genau, aber sicherheitshalber haben wir die KKW abgeschaltet, schaden kanns nix) und die tödliche Seuche, an der vor allem 100-Jährige gestorben sind, überwunden, schaut schon der nächste Feind unserer offenen und fröhlichen Gesellschaft um die Ecke: Der Rechte!

Ächten Sie ihn, den Rechten, beschimpfen Sie ihn, den niederträchtigen Populisten, entmenschlichen Sie ihn, die dumme Sau

Schließen Sie ihn aus, meiden Sie ihn, vermeiden Sie soziale oder geschäftliche Kontakte zu ihm, reden Sie nicht mit ihm, vernichten Sie ihn wenigstens finanziell und gesellschaftlich. Denn der Rechte ist eine Gefahr für die Demokratie, für unsere Demokratie, denn er will kein Cannabis legalisieren, schwärmt für heterosexuelle Beziehungen und klassische Familien, fährt Diesel (siehe oben: Umweltschutz), nimmt keine Rücksicht auf Fahrradfahrende, gendert nicht und hat etwas gegen „Erfahrungsräume im Kindergarten, in denen Kinder ihre Sexualität spielerisch unter Anleitung von Fachpersonal entdecken“, will ALLE „Ausländer raus“ (außer Martin Sellner) haben und auch keinen mehr reinlassen, er trinkt aus den Schädeln seiner Feinde und verlangt, dass er schlicht mit dem ganzen Quatsch drum herum nicht belästigt wird. Weil er einfach nur sein Leben leben will.

Also gehen Sie auf Demos „gegen Rechts“, verkaufen Sie „kein Brot für Nazis“, verwehren Sie dem Gesellschaftsfeind den Zutritt und machen Sie ihn fertig!

Packen Sie jeden, dem Sie habhaft werden können. Ja, da mögen auch Liberale, Libertäre oder Konservative mit bei sein, aber „Not kennt kein Gebot“ und das sind eben Kollateralschäden. Sie können den Feind der Demokratie nicht sehen, aber vertrauen Sie darauf, dass er da ist und auf Sie lauert! Auf uns alle lauert! Vernichten Sie diesen Abschaum, diese Kellerasseln, keulen Sie diese Ratten, folgen Sie den Anweisungen der echten Demokraten in der Regierung, sie allein weiß, was gut für uns alle ist. Stellen Sie das Nachdenken ein, das übernehmen andere für Sie. Bessere als Sie. Wissenschaftler und Juristen. Hassen Sie! Schreiben Sie sich „FCKAFD“ aufs T-Shirt! Und verzichten Sie auf Strohhalme. Und begleiten Sie bitte Ihre Kinder auf dem Schulweg. Nicht, dass es noch von einem AfD-Wähler angesprochen wird! Am Ende hat hier noch jemand eine falsche Meinung. So etwas soll und darf in unserer deutschen demokratischen bunten Republik keinen Platz mehr haben!

(Weitere ängstliche Artikel des Autors unter www.politticker.de

 Von Thilo Schneider ist in der Achgut-Edition erschienen: The Dark Side of the Mittelschicht, Achgut-Edition, 224 Seiten, 22 Euro.

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Klaus Kelle, Chefredakteur