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Wir haben’s vermasselt, Papa

Liebe Leserinnen und Leser,

gestern vor 102 Jahren wurde Ernst August Kelle in Lage, Lippe, geboren. Mein Vater. In diesen Zeiten von Unsicherheit, Gewalt, und ideologischen Spinnereien denke ich oft daran, wie er unsere heutige Zeit wohl sehen und bewerten würde.

Eins weiß ich sicher: er würde sich nicht wohlfühlen in diesem Deutschland des Jahres 2022. Gar nicht wohlfühlen.

Als junger Mann, der aus der damaligen „Volksschule“ kam, bewarb er sich um einen Ausbildungsplatz bei der Stadt und erhielt eine harsche Absage des damaligen NS-Bürgermeisters, dass er leider nicht für die Stadt arbeiten könne, da man bei ihm keine Gewähr sehe, dass er jederzeit für die nationalsozialistischen Ideale eintreten würde. Er sehr spät habe ich dann erfahren, dass sein Vater, mein Opa, an den ich keine Erinnerung mehr habe, ein SPD-Genosse war. Arbeiterfamilie und so. Vor 15 Jahren, als wir das Haus meiner Mutter leerräumten und all die alten randvoll gefüllten Kisten durchkramten, fand ich das Ablehnungsschreiben der Stadt und werde es für alle Zeiten aufbewahren, digitalisieren und an die Kinder und deren Kinder weitergeben.

Nazi-Gewähr hin oder her, als der Krieg begann, wurde mein Vater wie alle jungen Männer eingezogen, und weil er sich als Jugendlicher am Segelfliegen begeistern konnte, kam er zur Luftwaffe, wurde als Pilot ausgebildet und flog während des Krieges eine JU-87, ein Sturzkampfbomber, kurz: Stuka. Ausgerechnet über der Ukraine.

„1944 wusste doch jeder, dass der Krieg gegen die ganze Welt nicht mehr zu gewinnen war“, sagte er mir einmal in seinen letzten Jahren. Aber man habe weiter seine Pflicht getan, damit „die Russen nicht bis an den Rhein kommen“. Eine honorige Einstellung, die damals viele seine Kameraden im Geschwader teilten, wie er mir versicherte.

Als 1945 alles endgültig zusammenbrach, gerieten 11 Millionen deutsche Soldaten in Kriegsgefangenschaft. Mein Vater gehörte zu den mehr als drei Millionen von ihnen, die in eines der Straflager ins russische Sibirien mussten. Für dreieinhalb Jahre. Zeit seines Lebens hat er nur wenige Sätze über diese Zeit verloren, ich glaube sogar gegenüber meine Mutter hat er darüber geschwiegen. Er wollte einfach die Erlebnisse und Erfahrungen dort nie mehr an sich heranlassen, nachdem er lebend aus der Hölle zurückgekehrt war.

Sein Leben verlief dann wie so viele im Nachkriegsdeutschland, bei null anfangen, neuen Beruf erlernen, eine Frau kennen und lieben lernen, zwei Kinder bekommen, dann die Selbständigkeit. Ein kleines bisschen Wohlstand erarbeiten, nach dem Scheitern der Ehe später nochmal geheiratet und die beiden bekamen noch einen Sohn, ein properer Bursche, guter Typ, Sie kennen ihn alle. Fängt mit K an…

Bei uns in der Familie, also auch bei den Onkeln und ihren Familien wurde bis 1969 stramm FDP durchgewählt, was sich schlagartig änderte, als die Liberalen mit Willy Brandt die erste sozialliberale Koalition für Deutschland bildete. Um Deutschland an die Russen zu verkaufen, wie man das damals in unseren Kreisen so sah. Fortan galt „Augen zu – CDU“, was dann irgendwann – als Merkel ihr Zerstörungswerk begann – auch nicht mehr zündete.

Mein Vater hat noch das Faxgerät als eine unglaubliche technische Innovation wahrgenommen. Computer hielt er für Spielzeuge, die für sonst nichts taugen als daddeln.

Ich bin froh, dass er mit seinem preußischem Pflichtverständnis und als alter Soldat nicht mehr erleben musste, dass man sich in seinem Deutschland morgens beim Aufstehen entscheiden kann, ob man lieber Mann oder Frau sein möchte…oder gar ganz etwas anderes. Und dass ihm Frau Lambrecht als Bundesverteidigungsministerin erspart geblieben ist. Und dass die Menschen jetzt den Sozialismus wieder toll finden, dass zwei Männer heiraten können und Russland wieder Angriffskriege in Europa führen kann.

Er würde sich fragen, warum wir – also wir alle – das alles nicht verhindern konnten, verhindert haben, viele nicht verhindern wollten. Dass diese Gesellschaft einfach irgendwann kippt. Und ich glaube, ich würde ihm antworten: „Wir haben’s vermasselt, Papa!“

Mit herzlichen Grüßen,

Ihr Klaus Kelle

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Klaus Kelle, Chefredakteur