Wollen wir sichere Versorgung der Menschen mit Nahrungsmitteln oder Klimaaktivismus?
von MARTIN D. WIND
BERLIN – „Man kann Geld nicht essen!“ Mit solchen und ähnlich drastischen Ansagen reagieren Landwirte auf Äußerungen des Bundeslandwirtschaftministers Cem Özdemir (Bündnis 90/Die Grünen). Dieser hatte im vergangenen Monat während Beratungen mit den Kollegen aus anderen EU-Mitgliedsstaaten deren Bitte um ein Aufschieben der Restriktionen des „Green Deal“ – einer klimapolitischen Aktivität der EU-Kommission unter Leitung von der Leyens – brüsk zurückgewiesen. Die Kollegen sehen die Versorgungssicherheit mit Lebensmitteln in der EU nicht gewährleistet.
Sie verweisen auf die Ernteausfälle bei Getreiden und Ölfrüchten durch Putins Krieg gegen die Ukraine. Die Beschränkungen für die Landwirtschaft sehen unter anderem die Versorgung von Ackerpflanzen mit bis zu 20 Prozent unter Bedarf mit Dünger oder auch die Stilllegung von vier Prozent der landwirtschaftlich genutzten Flächen vor.
Selbst der Hinweis auf die sich noch stärker verschlechternde Ernährungssituation für Menschen in schon immer von Hunger und Mangel bedrohten Ländern, konnten das Herz des grünen Ministers nicht erweichen: Er bleibt stur bei dem Traumziel der EU-Kommission, die Union bis zum Jahr 2050 so weit zurückentwickelt zu haben, dass sie in der statistischen Bilanz null sogenannte Treibhausgase emittiert. Statt Ernteausfälle an anderen Stellen kompensieren zu wollen – und die Landwirte sähen sich dazu durchaus in der Lage – will Özdemir den weniger wohlhabenden Ländern, die auf Getreidelieferungen aus der Ukraine und Russland angewiesen sind, Geld geben.
Es hört sich für den Normalbürger gut an, dass die Bundesregierung Olaf Scholz (SPD) den betroffenen Ländern wie z. B. Marokko, Tunesien, Kamerun oder auch Ägypten rund 430 Millionen Euro ausreichen will. Damit sollen diese Länder die Möglichkeit bekommen, am Getreide- und Ölfruchtmarkt mit den finanziell potenten Einkäufern aus der EU oder auch den USA mitbieten zu können: Nicht der Mangel wird beseitigt, sondern der preistreibende Wettbewerb um die Ressource wird befeuert und inflationär getrieben. Immerhin hat Özdemir die Einrichtung einer Koordinierungsstelle zur Beaufsichtigung der Verteilung der Nahrungsspenden aus Deutschland bekannt gegeben. Die Reaktionen aus dem Ausland zeigen, dass hier das Deutsche Wesen wieder an der Spitze der Bewegung steht und Bewunderung erwirbt.
Mit Sarkasmus reagieren Landwirte auf die Problematik rund um die politisch getriebene Erhöhung der Energiepreise: Landwirtschaftliche Maschinen und Arbeit sowie landwirtschaftliche genutzte Pflanzenschutz und -ernährungsmittel bedürfen großer Mengen Energie in Herstellung und Verwendung: Kunstdünger wird unter Verwendung großer Mengen Gas hergestellt: Im Gespräch mit dem „Finanzminister“ der Bürgerbewegung „Land schafft Verbindung e. V.“ (LsV), Marcus Vianden, wurde deutlich, dass in der Politik lediglich die Menge des geernteten Getreides wahrgenommen, die Qualität, die Verwendbarkeit als Brotmehl aber außer Acht gelassen wird. Das erinnert an die „DDR“, als Papierfabriken die Tonnage des Fünfjahresplans durch die Herstellung schwerer Packpapiere erreichten.
Wichtiger als eine sinnvolle Verwendbarkeit der geernteten Getreide sei es offenbar im Rahmen des „Green Deals“, dass ein Acker zur Blumenwiese umgewidmet wird.
Auch das ewige „politische Talent“ (Klaus-Rüdiger Landowsky im Berliner Abgeordnetenhaus) Renate Künast (MdB Bündnis 90/die Grünen), ehemalige Bundeslandwirtschaftsministerin, hat den Unterschied zwischen backfähigem Brot und nur als Futter tauglichem Getreide offenbar noch immer nicht verstanden. Auch sie hat mit erbarmungswürdigem Tremolo bedauert, dass in Deutschland Getreide an Tiere verfüttert werde. So ist das, wenn das Getreide aufgrund mangelnder Ernährung durch zu geringe Düngung und/oder Wärmezufuhr (Wetter!) nicht den für Brotgetreide notwendigen Glutenanteil aufweisen. Viele Bauern bezweifeln, dass diese Erkenntnis irgendwann in den politischen Kreisen einschlägt und Wirkung entfaltet. Es würde nicht in die Vorstellung passen, dass die Landwirte „schuld“ an der Malaise seien.
Nächste Spielwiese der Politik ist die Tierhaltung. Auch hier werden die Folgen der Phantasien aus der Politik eine Verminderung der zur Verfügung stehenden Nahrungsmengen sein: Nicht nur dass die Vorgaben zur Tierhaltung die Menge an fleischlicher Nahrung für Menschen einschränken werden, auch die Vorstellungen darüber, wie eine „Tierwohlhaltung“ auszusehen haben soll, wird mit der Wiederansiedlung der Spitzenprädatoren Wolf, Luchs und Bären kollidieren: Wer tier- bzw. artgerechte Haltung in Deutschland haben will, kann eine unkontrollierte Wiederansiedlung dieser Großraubtiere in der dichtbesiedelten Kulturlandschaft Deutschland nicht befördern.
Nun kommt es darauf an, ob die Politik dem Wohlergehen der Menschen oder einer abstrakten Idee von Natur, Umwelt und Klimaaktivismus den Vorrang einräumt. Und wir werden sehen, ob die Regierung lieber Menschen verhungern lässt als Blumenwiesen der Tierhaltung oder dem Getreideanbau zu „opfern“.
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Klaus Kelle, Chefredakteur