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Sie versuchen nicht-linke Meinungen aus der Öffentlichkeit zu verdängen

Abmahnen, Anzeigen, Angst machen: Das Gespenst der Kontaktschuld geht um

JULIAN MARIUS PLUTZ
Im Dunkeln andere Meinungen und Personen anschwärzen

Ich muss Ihnen etwas gestehen: Halten Sie sich fest, setzen Sie sich hin, schnallen Sie sich an, nehmen Sie Ihre Medikamente, machen Sie ein Bier auf, einen Sekt, ein Glas Cola mit Rotwein (auch “Korea” genannt), einen ordentlichen Whisky oder schenken Sie sich einen Rum ein! Am besten alles zusammen. Vielleicht werden Sie den Kontakt abbrechen, dieses Portal für immer meiden und anschließend bei Anwalt Jun anrufen, wahlweise bei Ihrem Psychologen. Etwas, was sich nach einem Kontakt mit dem “schönsten Rechtsanwalt aus Würzburg” immer empfiehlt. Doch der Reihe nach. Sie müssen jetzt erst einmal stark sein.

Ich traf mich vor vielen Jahren mit Hartmut Wostupatsch. Wostupatsch galt, er ist inzwischen verstorben, in den neunziger Jahren als das Gesicht der NPD. Zu der Zeit war ich mit einer anderen Person befreundet, die mit dem Neonazi in die Schule ging. Ich war jung, links und neugierig. Wir trafen uns beim Holländer in Iphofen, in einem feinen Restaurant, das es heute leider nicht mehr gibt, aßen leckere Schnitzel und tranken achtjährigen Genever, während wir über dies und das  plauderten. Skandalös, nicht wahr?

Ein falsches Like genügt

Meine Eltern waren „not amused“, um es vorsichtig zu formulieren. Aber das war mir egal. Ich habe keine Berührungsängste. Ich spielte unter einem linksextremen Regisseur Theater. Ein Neonazi, ein Freund eines Freundes meines damaligen Partners half uns beim Umzug. An einem Grillabend fragte ich ihn, warum er so ist, wie er ist. Er erklärte es mir, ich verstand es nicht, und dann tranken wir entsetzlich viel Bier.

Warum erzähle ich Ihnen das? Weil in Deutschland ein Gespenst umgeht. Es ist das Gespenst der Kontaktschuld. Ein falsches Selfie mit der falschen Person genügt, ein falsches Like beim falschen Thema reicht aus, um von linken Tugendwächtern zur persona non grata erklärt zu werden. Jüngstes Beispiel ist der Aufschrei um Christopher Pietsch. Christopher ist Bundeswehrsoldat, 30 Jahre alt, und Mitglied der CDU und, wie er nur kann, auf Twitter unterwegs.

Doch es geht noch weiter. Ein anonymer Account mit zu viel Tagesfreizeit machte sich die Arbeit, Christophers Timeline zu durchforsten. Und er wurde fündig in dem Sinne, dass er das fand, wonach er suchte. Likes und Retweets von Beiträgen der AfD. Daraufhin machte er von diesem himmelschreienden „Skandal“ Fotos und verlinkte seinen Vorgesetzten. Christopher schreibt auf Twitter, das übrigens heute X heißt, hierzu folgendes: „In meiner Timeline ist diese deutliche Distanzierung auch einsehbar. Ich habe mit dieser bestimmten Partei nichts am Hut. Nicht ohne Grund habe ich mich auch dazu entschlossen, Mitglied der CDU zu werden. Sie ist die Partei, zu der ich politisch hingehöre.“

Meldeaffen, die an Grenzen stoßen

Allein die Tatsache, dass sich Christopher rechtfertigen muss und mit dem Gedanken spielt, die sozialen Medien zu verlassen, spricht Bände. Statt froh zu sein – und das sieht offensichtlich sein Arbeitgeber genauso – dass sich junge Leute für Politik interessieren, werden unliebsame Meinungen jenseits der heiligen linken Einheitsmeinung deutscher Nation bekämpft. Diese Meinungsdiktatur wird Ihnen von einer Gesellschaft präsentiert, die zwar stets für den Kampf gegen rechts bereit ist, aber abweichende Meinungen mit allen Mitteln bekämpft. Ob Abmahnen, Anzeigen oder Angst machen, die Alliteration der linken Untugenden findet kein Ende.

Doch manchmal stoßen die Meldeaffen auch an Grenzen. Der selbsternannte Rechtsextremismus-Experte Patrick J sollte laut Spiegel wegen charakterlicher Nichteignung aus der Bundeswehr rausfliegen. Derzeit ist sein Dienstverhältnis ausgesetzt. Patrick hatte grundlos massenhaft andere Soldaten beim Militärischen Abschirmdienst (MAD) gemeldet. Irgendwann wurde es der Bundeswehr zu doof. Zwar ist er noch nicht unehrenhaft aus dem Dienst entlassen, jedoch gehen Beobachter davon aus, dass dies nur noch eine Frage der Zeit ist. So macht man sich Freunde. Und wenn ich dann noch sage, dass sich Patrick J und der Meldeaffe von Christopher kennen, dann wundern Sie sich über gar nichts mehr.

Humorbefreiter Anwalt Jun

All dies hat direkte Auswirkungen. Laut Allensbach glauben nur 40 Prozent der Deutschen, dass sie ihre Meinung noch frei äußern können. Anwälte wie Chan-Jo Jun helfen dabei, dass die Zahl noch geringer wird. Der reichweitenstarke Jurist hat im Wesentlichen eine Mission: Mit Demokratieabschaffern wie Hate Aid, einem Meldeportal, das sich die SED hätte nicht erträumen lassen können, sorgt er dafür, dass Menschen, jenseits seiner unmaßgeblichen linken Meinung, Bedenken haben müssen, Probleme zu bekommen.

Das funktioniert so. Als ich die empörende Aussage traf, er Jun, sei „der schönste Rechtsanwalt Würzburgs“, antwortete der gänzlich humorbefreite Advokat: „Danke für die breite Unterstützung. Ich habe Herrn P (das bin ich) blockiert und seine Ausführungen bisher nicht gelesen. Ich überlasse das meinem begonnenen (er meinte „besonnenen“) und qualifiziertem Team. Hat jemand eine ladungsfähige, inländische Adresse?“ Sympathisch, nicht wahr?

Windige Meldestellen und charakterfreie Anwälte

Ein Account mit fast 100.000 Followern ruft dazu auf, meine Adresse zu veröffentlichen, was dann auch getan wurde. Nicht, dass ich mich davon einschüchtern lassen würde. Im Gegenteil. Anwalt Jun hat einen neuen Gegner für intellektuelle Debatten gewonnen, wäre er nicht so kurzatmig und würde er der Debatte nicht aus dem Weg gehen. Die Unlust am Aushalten anderer Meinungen könnte der Sargnagel dieser Demokratie sein.

Es ist traurig, wie formal gebildete Menschen Mechanismen aus Diktaturen übernehmen. Sie zeigen an, bedrohen, sie denunzieren. Und sie entfernen sich mit Siebenmeilenstiefeln von dem Humanismus, den sie so lange predigen, sobald er sie selbst betrifft. Wer sagt, dass es Cancel Culture nicht gibt, der war noch nie davon betroffen. Und wer glaubt, dass windige Meldestellen und solche Anwälte auch nur irgendeinen Beitrag für die Demokratie leisten, außer selbige abzuschaffen, der hat den berühmten Schuss nicht gehört.

 

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Klaus Kelle, Chefredakteur