Ein Ende des Krieges in der Ukraine rückt nun näher – aber was folgt?
Ein Ende des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine scheint erstmals seit dem 25. Februar 2022 in greifbare Nähe zu rücken. Die Gründe dafür sind schlüssig, die kämpfenden Verbände sind in ihren Stellungen eingegraben, und niemand erwartet ernsthaft, dass noch große russische Geländegewinne möglich sind, oder dass die Ukraine militärisch fähig wäre, die Russen aus ihren Stellungen in den besetzten Gebieten herauszudrängen.
„Die Krim wird nicht wieder ukrainisches Staatsgebiet“, prophezeit mir ein Bundeswehr-Offizier, mit dem ich am Abend telefoniert habe. Einer von vieren, teilweise noch im aktiven militärischen Dienst. Die Krim und die von den russischen Invasoren annektierten Ost-Provinzen Luhansk und Donezk bleiben unter russischer Kontrolle, sagen alle unisono. Vielleicht zieht Russland noch ein Kasperle-Referendum dort ab, wo sich dann die überlebenden Bewohner dafür aussprechen dürfen, zur Russischen Föderation gehören zu wollen wie auf der Krim. Und das war es dann.
Für was noch weiterkämpfen jetzt?
200.000 Tote auf beiden Seiten, verkrüppelte Männer und vergewaltigte Frauen, die schon lange keiner mehr zählt. Zerbombte Städte, Zehntausende gegen den Willen ihrer Eltern nach Russland verschleppte Kinder – für was alles? Ach klar, um die Nazis zu bekämpfen. Was für eine lächerliche Begründung aus Moskau für diesen Feldzug, der einzig den Zweck haben soll, der russischen Bevölkerung eine Größe vorzugaukeln, die Russland nicht hat. Und der Führer im Kreml lehnt sich zurück, Verluste an Menschenleben hat in diesen Gemäuern noch nie jemanden interessiert.
Im Februar 2022 hat kaum jemand geglaubt, dass die Ukraine durchhält
Auch die russischen Aggressoren nicht. Erinnern Sie sich noch an die 60 Kilometer lange Panzerkolonne, die sich in der ersten Woche auf den Weg nach Kiew machte? Ohne Luftunterstützung, einfach eine lange Reihe Altmetall, Panzer aus den 60er Jahren. Doch die Ukraine war vorbereitet.
Nach der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim 2013/2014 waren hohe Offiziere aus den USA und Großbritannien in Kiew und überzeugten die Regierung, das mit dem Verlust der Krim der Hunger des russischen Bären noch nicht gestillt sein wird. Die zuvor marode ukrainische Armee wurde von westlichen Beratern in moderner Kriegsführung ausgebildet. Sie erhielten moderne Waffen und lernten Guerillataktiken. Und als die Russen einmarschierten, war die Ukraine vorbereitet. Gut in Guerillataktik, aber überfordert in offenen Feldschlachten.
Die westlichen Waffen dafür kamen zu spät
Und selbst wenn Zögerliche wie der deutsche Bundeskanzler früher geliefert hätte – es ist nicht möglich, Rekruten innerhalb von sechs Wochen auf einem Panzer Marder oder Leopard 2 so auszubilden, dass sie die Maschine beherrschen. Einer meiner Gesprächspartner, der selbst Ausbilder war, sagte: „Die Waffensysteme sind heute so komplex und kompliziert, dass die Soldaten sie selbst nach 15 Monaten Ausbildung noch nicht perfekt beherrschen…“
Und vom Gefecht verbundener Waffensysteme will ich gar nicht anfangen, Kommandeure, die lagebedingt frei ihre Entscheidungen treffen können – das ist für Ukrainer, Russen aber auch Amerikaner kaum vorstellbar, die auf strenge Einhaltung ihrer Befehlsketten setzen. Moderne Kriegsführung lernt man nicht einfach mal so nebenbei, auch nicht von westlichen Ausbildern.
Die Parteien sind kriegsmüde
Und nun kommt noch ein weiterer Aspekt hinzu: Die Parteien sind kriegsmüde. Während Russland auf Kriegswirtschaft umgestellt hat und Tag für Tag Waffen und Munition für den eigenen Gebrauch produziert, ist die Ukraine vollständig von der Unterstützung aus Amerika, EU und NATO abhängig. Und die uneingeschränkte Bereitschaft, weiter zu liefern und zu finanzieren, lässt spürbar nach. Ja, sie alle bekunden ihre unverbrüchliche Solidarität, aber wenn Sie genau hinschauen, dann bemerken Sie, wie es an der ein oder anderen Stelle bröckelt, etwa in Polen, in Ungarn sowieso.
Russlands Außenminister Sergej Lawrow sorgte kürzlich für Aufsehen, als er unter bestimmten Bedingungen die Aufnahme von Friedensgesprächen nicht für ausgeschlossen hielt. Aber worüber sollten die geführt werden? Dass Russland die mühsam besetzten Gebiete rausrückt, das wird freiwillig nicht passieren.
Eine umfassende Lösung muss angestrebt werden
Der deutsche Politologe Herfried Münkler forderte jetzt im Magazin „stern“ kriegsfreie Zonen in der Ukraine. Zu einer Friedenslösung gehöre, das gesamt Bild zu betrachten. Münkler wörtlich:
„Wir müssen uns fragen: Wollen wir in der Ukraine nur einen Waffenstillstand und darauf hoffen, dass er so lange hält wie der zwischen Nord- und Südkorea? Oder trauen wir uns eine umfassende Friedensregelung zu?“ Es gehe „um geopolitische Interessen, um eine russische Kontrolle des Schwarzen Meeres, auf das auch der türkische Präsident Erdoğan ein Auge geworfen hat.“ Und: „Man muss auch über Aserbaidschan und Armenien sprechen, über die Zukunft von Georgien und Moldawien. Alles muss auf den Tisch, sonst fängt man wenig später wieder von vorn an.“
Ja, wie geht es weiter, wenn endlich die Waffen in der Ukraine schweigen?
Die EU hat der Ukraine die Tür weit geöffnet für eine Mitgliedschaft in der Europäischen Union. Und die NATO winkt mit Sicherheitsgarantien für die Zukunft. Analysten halten das eher für eine Botschaft an Moskau als an Kiew. Putin wird nichts akzeptieren als einen zukünftigen neutralen Status der Rest-Ukraine. Vielleicht ist das sogar möglich, wenn die Westmächte, die Vereinigten Staaten und die EU, glaubhafte Sicherheitsgarantien stellen. Aber was sind schon Sicherheitsgarantien? Russland hatte der Ukraine einst auch einen souveränen Status versprochen für die Abgabe der Atomraketen an Russland. Wir alle haben gesehen, was Zusagen der Russischen Föderation wert sind. Nichts nämlich.
Immerhin sind die meisten Staaten in Europa aus ihrer Russland-Besoffenheit aufgewacht. Niemand macht sich derzeit irgendwelche Illusionen über Putins Charakter und die Vertrauenswürdigkeit des Kreml-Clans. Jetzt sind (noch) alle bereit, ihre Armeen aufzurüsten und Geld in die Hand zu nehmen für neue Waffensysteme. Auch die Irrsinns-Idee, die USA könnten zum Rückzug aus Europa bewegt werden, ist obsolet. Aber was wird in drei Jahren sein?
Ruhe vor Putins Russland? Nur mit Atomwaffen!
Russland ist eine permanente Bedrohung Europas, die Naivität vergangener Regierungen in Deutschland und einigen Ländern Europas darf sich nicht wiederholen.
Um Deutschland auch ohne Hilfe der Amerikaner verteidigen zu können, braucht unser Land eine Dienstpflicht und viel mehr Reservisten als es derzeit gibt. Ein Offizier, mit dem ich sprach sagte auch, dass Europa letztlich erst dann sicher sei vor Bedrohungen wie Russland, wenn es eine europäische Armee mit eigenen Atomwaffen gäbe. Aber das ist ein anderes Thema für demnächst …
Neueste Außen
Neueste Politik
Spendenaufruf
+++ Haben Sie Interesse an politischen Analysen wie diesen?
+++ Dann unterstützen Sie unsere Arbeit
+++ Mit einer Spende über PayPal@TheGermanZ
oder einer Überweisung auf unser Konto DE03 6849 2200 0002 1947 75 +++
Klaus Kelle, Chefredakteur