Ich habe Schafe gehütet – und ich stehe auf Seiten unserer Bauern
Werde ich gefragt, was mein eigentlicher Beruf ist, zögere ich meist zwei, drei Sekunden mit der Antwort. Soll ich die Wahrheit sagen und mich auf Nachfragen einlassen, oder schweige ich und erkaufe mir damit meine Ruhe? Wer mich kennt, weiß, dass ich eher zu zweiten Antwort neige.
Warum ich nicht gerne sage, dass ich vor 43 Jahren den Beruf des Schäfers gelernt habe? Weil dann meist ein „Oh, wie interessant, erzähl doch mal!“ oder ein „Ach, Du bist Bauer?“ kommt.
Höre ich jedoch heute vom Streik der Bauern und was das Stadtvolk über das Landvolk denkt, bin ich geneigt, ab sofort immer meine wahre Identität preiszugeben und die Fragen gern zu beantworten.
Ja, ich bin als 16-jähriges Mädchen von einer Großstadt in der DDR aufs Land gegangen und habe eine Ausbildung zum „Zootechniker/Mechanisator, Spezialisierung Schafzucht“ begonnen. Ich musste dafür weit von meinem Zuhause entfernt in ein Internat ziehen, um in einem der wenigen ausbildenden Betriebe meine Lehrstelle antreten zu können. Es war nicht leicht, als Teenager plötzlich auf eigenen Beinen stehen zu müssen.
Und es war nicht einfach, die körperlich oftmals schwere Arbeit zu bewältigen und dabei im Gummistiefelhohen Matsch zu stehen. Ja – der Bauer steht schon mal in der Scheiße, um diese wegzuschaffen. Und er steht jeden Tag vor dem frühen Vogel auf und verfährt nach der Devise: „Erst die Tiere, dann der Mensch!“ Heißt: Zuerst werden die Vierbeiner versorgt, und erst danach gibt es Kaffee.
Ich habe in einem landwirtschaftlichen Betrieb im Vogtland gelernt; in einem Volkseigenen Gut (VEG). Zwei Jahre lang wurde mir beigebracht, wie man eine Schafherde sicher vom Stall auf die Weidefläche und zurück bewegt. Wie man dafür die Hütehunde richtig einsetzt, und wie man bei jedem Wetter zehn Stunden am Tag alleine draußen klarkommt. Wie man den Schafscherern zur Hand geht und Lämmer auf die Welt holt. Ich habe meinen Beruf geliebt, ich habe viel fürs Leben gelernt und profitiere noch heute davon. Dennoch habe ich ihn aufgegeben, um eine andere berufliche Herausforderung anzunehmen.
Warum? Weil man als 18-Jährige nicht tagtäglich in Gummistiefeln und Schlabberhemd den Stall ausmisten und Mutterschafe zwangsbesamen möchte. Weil man als Teenager nicht ständig Wochenenddienste schieben und einen Zwölf-Stunden-Tag hinter sich bringen möchte. „Ein Bauer hat nie Feierabend“, pflegte mein Meister zu predigen.
Und: Weil sich nach der Wiedervereinigung die Landwirtschaft in der DDR komplett gewandelt hat. Die großen Betriebe mit Schafherden von bis zu 1000 Tieren rentierten sich nicht mehr, denn die Wolle unserer einheimischen Merino-Schafe ist, gelinde gesagt, nix wert. Sie lässt sich nicht an Fabriken verkaufen, die daraus feinste Wolle für Pullover oder Handschuhe spinnen; höchstens Teppiche kann man daraus weben. Sie ist einfach zu grob und wird zu teuer produziert.
Heute wird Wolle aus Australien, Neuseeland und China importiert und die Schäfer verramschen ihre Wolle als Dünger oder werfen sie weg. Zu DDR-Zeiten war jedes Kilo Wolle Gold wert, musste es doch nicht aus Neuseeland oder Australien gegen harte Devisen importiert werden, um die heimische Textilindustrie am Laufen zu halten. In der Bundesrepublik lag der Schwerpunkt in der Schafzucht auf der Fleischproduktion, und so begann 1990 in den DDR-Betrieben das große Schlachten – 2,6 Millionen Schafe waren einfach zu viele für den Fleischmarkt.
Große Schafherden sieht man in Deutschland heute selten. Mal hier und da stehen einige Tiere auf den Deichen an Nord- und Ostsee, um das Gras kurz oder in Landschaftsschutzgebieten das Unkraut klein zu halten. Oder sie grasen in unwegsamem Gelände, wo niemand sonst hinkommt. Sie werden meist nur noch als lebendige Rasenmäher gehalten, wofür ihr Hirte vom Staat Subventionen erhält. Vom Verkauf der Wolle und des Fleisches können die Schäfer nicht mehr leben.
Würde der Staat nicht einspringen, wären Schafherden wohl schon vollends aus unserem Landschaftsbild verschwunden. Die Tiere würden nur noch zu viert oder fünft einen kleinen Glücksmoment bilden, wenn man vom Brandenburgischen nach Berlin fährt und sie auf einer Pferdekoppel entdeckt.
Warum ich das erzähle? Weil ich fürchte, dass auch die Subventionen für die Schafe wegfallen könnten. Weil ich mir wünsche, dass die schwere und zeitintensive Arbeit unserer Landwirte mehr wertgeschätzt wird. Sie sorgen nicht nur für unsere Nahrungsmittel, sondern auch für Schafe, die in der Landschaft herumstehen und Glücksmomente auslösen können.
Ich werde zukünftig nicht mehr zögern, werde ich nach meinem Ursprungsberuf gefragt. Ich werde sagen: Ich habe in der Landwirtschaft gelernt, und darauf bin ich stolz!
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Klaus Kelle, Chefredakteur