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Kaffeesatzleserei als Beruf

Liebe Leserinnen und Leser,

jeder weiß irgendwie was in diesen Tagen. Jeder weiß, was Putin morgen vorhat, jeder weiß, was die Chinesen wirklich denken über Russland, jeder weiß, wer welche Wohn- und Krankenhäuser gerade beschossen hat, und wann genau die Strahlung einer Thermonuklearbombe nicht mehr tödlich ist, wenn man im heimischen Garten nach der totalen Vernichtung spazieren gehen und den Frühling genießen möchte.

Gut, zumindest bei Panzer- und Luftangriffen, da ist das oft zu identifizieren anhand der Bilder und Filmchen vom Geschehen, wer der Böse ist. Aber gerade Politiker und Journalisten werden rund um die Uhr mit Nachrichten, Gerüchten und knallharten Fake News bombardiert, damit sie die Lage wie gewünscht einschätzen und entsprechend handeln und berichten. Und ernsthaft: Im Grunde wissen wir ein paar Fakten, die unbestreitbar sind, wir haben die offiziellen Statements von Politikern, die sich in Kriegszeiten aber regelmäßig widersprechen und natürlich auch nicht immer die Wahrheit sagen. Noch nicht einmal aus böser Absicht, sondern weil sie sie selbst nicht wissen. Und alles andere ist für unsereins Stochern im Nebel.

Dennoch gehört es ja für Leute mit meinem Beruf dazu, ein wenig mehr herauszufinden, um es Ihnen dann erzählen zu können. Und wenn Sie das lesen, dann wollen Sie eine hohe Wahrscheinlichkeit haben, dass wir und dass ich Sie nicht hinters Licht führen. Bewusst oder unbewusst.

Witzig ist immer, wenn die gleichen Leute, die gerade noch reichlich Lob für unsere Arbeit spenden, eine Minute später totale Feinde sind, weil ihre Erwartungshaltung in der Berichterstattung über ein anderes Thema nicht erfüllt wird. Es geht denjenigen nicht darum, möglichst die ganze Wahrheit zu erfahren, sie wollen das hören, was sie selbst sowieso denken. Und gerade in Sachen Putin kann ich einem Teil unserer Leserschaft nicht das geben, was sie lesen wollen – weil es einfach nicht die Wahrheit wäre. So Sätze wie „Herr Kelle, ich habe ihre Arbeit ja immer geschätzt aber dass sie den Friedensengel aus Moskau nicht liebhaben wollen, das enttäuscht uns sehr…“ Doch, würde ich gern, aber leider ist er nun mal nicht lieb. Ich kann es auch nicht ändern.

Der Buckingham-Palast in London, Sitz des britischen Königshauses, hat einen Pressesprecher. Dessen Aufgabe ist nicht etwa, die Öffentlichkeit darüber zu informieren, was wirklich hinter den zugezogenen Vorhängen passiert. Ein Pressesprecher im Buckingham-Palast wird dafür bezahlt, dass er verhindert, dass die wahren Geschichten der Windsors ans Licht kommen. Und so ist es überall, ganz oft, so wird manipuliert, werden Nebelkerzen geworfen, wird man so lange mit Scheinwahrheiten weichgeklopft, bis man dann selber geneigt ist, es auch so zu sehen. Erinnern Sie sich noch an den Militärsprecher von Saddam Hussein, der vor laufenden Kameras in Bagdad erklärte, dass alles ruhig und unter Kontrolle sei für den Irak, und im Hintergrund rollten amerikanische Panzer die Straße entlang. Sternstunden des Qualitätsjournalismus…

Warum erzähle ich Ihnen das alles heute Morgen? Eigentlich wollte ich nur mal sagen, dass ich meinen Beruf auch nach 39 Jahren immer noch sehr mag, trotz allem. Und ich hoffe, Sie mögen Ihre Berufe oder Ihre Berufung genauso gern!

Einen schönen Tag Ihnen allen!

Ihr Klaus Kelle

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Klaus Kelle, Chefredakteur