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Sagen wir es wie Trapattoni: Diese EU hat fertig – selbst die Abschaffung der Zeitumstellung kriegen sie nicht hin

von CHRISTIAN KOTT

BRÜSSEL – In diesen Tagen sind Meldungen und Gedanken eher tagesaktuell. Mit täglich neuen Infektionsstatistiken, Belegungszahlen für Krankenhäuser und der Nachfolge für Jogi Löw beschäftigen sich Medien und ihre Konsumenten selbst und vergessen den Blick für das Große und Ganze. Soweit es unsere Bundeskanzlerin angeht: Im Großen und Ganzen ist nichts schief gelaufen.

Das Gegenteil ist aber der Fall. Im Großen und Ganzen ist nichts richtig gelaufen.

An nichts kann man das deutlicher festmachen als an einer Krise, in der irgendwie konsequent gehandelt werden muss. Deutlich ist dabei geworden: Unser entscheidendes Organisationsgebilde ist längst nicht mehr die Bundesrepublik Deutschland sondern die Europäische Union. Zeit also, den Blick von dem kindischen Gezänk der Ministerpräsidentenkonferenz abzuwenden und nach Brüssel zu schauen. Wo stehen wir?

Was wir dort sehen ist schockierend. Völlig unbeleuchtet von unserer pluralistischen, bunten Medienlandschaft und entgegen dem der EU zujubelnden Zeitgeist hat diese (und zwar schon seit vielen Jahren) eine tiefrote Bilanz der Verwüstung hinterlassen. Nur eine kurze Aufzählung ohne Anspruch auf Vollständigkeit:

– Totalversagen bei der Eurokrise seit 2010
– vollständig ungelöste Krise der illegalen Migration seit 2015
– mit vereinten Kräften wurde Großbritannien, letztes Bollwerk der r´Ratio, aus der EU geekelt
– unüberbrückbare Spaltung zwischen Brüssel und denjenigen Staaten, die noch ein wenig Restsouveränität verlangen.
– Desaster bei der Impfstoffbeschaffung

Demgegenüber steht auf der Habenseite aus jüngerer Zeit nichts, nicht einmal die Abschaffung der Zeitumstellung.

Mit dem Abgang Jean-Claude Junckers, dessen Ischiasleiden ihn stets davon abgehalten hatte, die EU zur damals schon notwendigen Grundsatzreform zu führen, verbanden manche naiven Tagträumer die Hoffnung, dass die Kurve noch genommen werden kann. Doch mit Ursula von der Leyen als Kommissionspräsidentin nahm das Brüsseler Bürokratie- und Korruptionsmonster (auch ganz ohne Ischias) die Gestalt an, die jedem klar machte: Die Idee, die Adenauer und de Gaulle zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft und die Kohl und Mitterrand 1992 zum Vertrag von Maastricht brachte, ist tot. An ihre Stelle ist die Idee von einem zentralistischen Riesenstaat getreten, der die Vielfalt der europäischen Nationen vereinheitlicht, immer verbunden mit der Lüge, nur so könne man in einer globalisierten Welt bestehen.

Auch ich habe – bis zum Brexit – noch ein wenig Resthoffnung gehabt, dass man noch zur Vernunft kommen, die EU reformieren und den Geist der immerhin fast 50 Jahre, in denen die Europäische Gemeinschaft seit 1957 bis zu ihrer stillen Umwandlung in die „EU“ 2007 auf dem richtigen Weg war, retten könne. Seit Ursula von der Leyen glaube ich endgültig nicht mehr daran. Das Projekt wurde unwiederbringlich von Leuten gekapert, denen es nur noch um Industrielobbyismus, Korruptionsteilhabe und Zentralisierung geht.

Wenn ein Haus bis auf die Grundmauern abgebrannt ist, dann kommt niemand auf die Idee, auf den verkohlten Mauerstümpfen ein neues Haus zu bauen, sondern man reißt die Ruine ab um Platz für etwas Neues zu schaffen. So ist es mit der EU. Um es mit den Worten Trapattonis zu sagen: Sie hat fertig.

Diejenigen, die dafür verantwortlich sind werden ihre fette Beute nicht freiwillig hergeben. Eine maßgebliche politische Bewegung, die das fordert, ist im Übrigen nicht einmal mit der Lupe erkennbar. Daher wird es noch eine ganze Weile so weitergehen, wie es jetzt ist. Solange der Finanzmarkt das billige Geld der EZB dankbar aufnimmt wird die Umverteilung der Mittel, die dem Steuerzahler eigentlich für Infrastruktur, Bildung, Sicherheit und soziale Gerechtigkeit abgeknöpft werden an diejenigen, die früher einmal „Heuschrecke“ genannt wurden weitergehen und wahrscheinlich sogar noch zunehmen. Kein Wunder, dass der sogenannte „Wiederaufbaufonds“ (für mich das Unwort des Jahres) gerne den Zugriff auf 750 Milliarden Euro hätte, die dann nach genau diesen Prinzipien „umverteilt“ werden sollen. Zahlen werden Sie das, aber warten Sie ab, ob Sie auch nur einen Cent davon abbekommen, jedenfalls wenn Sie kein Konzern sind.

Aber was kommt danach, wenn die Druckerpressen der EZB nicht mehr schnell genug laufen und aus dem Steuerzahler das letzte Hemd gepresst wurde?

Darüber müssen wir uns jetzt Gedanken machen, nicht erst dann wenn es soweit ist. Ein „Zurück zum Nationalstaat“, wie es manche fordern, wäre eine vertane Chance. Auch wenn die EU nicht mehr reformierbar ist, so kann man doch die wenigen Punkte, die sich als Erfolg herausgestellt hatten, retten und von da an von Vorne anfangen. Der europäische Binnenmarkt und das Schengener Abkommen beispielsweise. Europäischer Reset muss nicht bei Null beginnen.

Ein föderales Europa der Bürger, das an den Geist seiner Gründungsväter anknüpft und für Frieden, Freiheit und Wohlstand in Solidarität steht, könnte dann das Ergebnis sein.

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Klaus Kelle, Chefredakteur