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Warum Liz Truss keine echte Chance hatte

ARCHIV – Die britische Ex-Premierministerin Liz Truss auf dem Parteitag der Konservativen in Birmingham. Foto: Kirsty Wigglesworth/AP/dpa

von JULIAN MARIUS PLUTZ

LONDON – Glaubt man dem Klassiker von Jules Verne, so ist es möglich, in 80 Tagen die Welt zu umrunden. 1873 veröffentlichte der Franzose den gleichnamigen Roman, der zahlreiche Interpretationen und Filme hervorbrachte. Was man nicht alles in nicht einmal drei Monaten schaffen kann! Oder auch nicht, wie im Falle der eben zurückgetretenen Premierministerin von Großbritannien Liz Truss. Ganze 45 Tage bekleidete sie das höchste Ministeramt der Insel. Rekord, so kurz war noch keiner ihrer Vorgänger im Amt.

Doch wir müssen fair bleiben. Man kann sich kaum an einen Premierminister erinnern, dessen Amtsantritt unter so einem schlechten Stern stand, wie der von Frau Truss. Bereits im Vorfeld spottete die Zeitschrift “Economist”, ihre Regierung hätte “die Haltbarkeit eines Salates”. Doch es lohnt sich, ihre kurze, aber bewegende Chronik als Lenkerin des Königreichs zu betrachten.

Am 5. September gewinnt Frau Trust die Abstimmung in ihrer Partei um das Amt des Parteichefs. Mit mehr als 80.000 Stimmen und immerhin 60.000 Gegenstimmen. Da die Torys Regierungspartei sind, wird sie automatisch Premierministerin und folgt damit auf Boris Johnson. Einen Tag später beauftragt die da noch lebende Königin Elisabeth II. die 47- jährige, die Regierung zu bilden.

Labour Party mit Rekordgewinnen

Zwei Tage später stirbt die Königin. Das Ereignis überschattet alles. Kurz vor der Meldung des Todes kündigt Truss an, die Energiepreise zu deckeln. Doch der nationale Trauerfall und die zehntägige Trauer erstickt die Debatte im Keim.

Am 23. September fällt der Kurs der britischen Währung ins Bodenlose. Grund: Die Regierung stellt ihre Pläne vor, die Wirtschaft im Königreich zu stabilisieren. Dabei soll sich das Land massiv verschulden, dafür, dass die Steuern deutlich gesenkt werden. Erste Spannungen im Kabinett waren zu spüren. Fünf Tage später reagierte die Bank of England. Um das “erhebliche Risiko für die finanzielle Stabilität des Vereinigten Königreichs” abzuwenden, kündigt die Zentralbank ein zweiwöchiges Programm an, dass langfristige britische Anleihen aufkaufen soll. Laut einer Umfrage der Meinungsforscher von YouGov, die auch für Deutschland Erhebungen vornehmen, liegt die Labour-Party ganze 33 Prozent vor den Torys. Das ist der höchste Wert seit den goldenen Zeiten von Tony Blair.

Rücktritt der Innenministerin

Der Parteitag der Konservativen am 3. Oktober verhindert den Plan von Truss, den Spitzensteuersatz zu senken. Spätestens jetzt ist die Distanz von Partei und Parteichefin für jeden spürbar. Zwei Tage später tritt sie vor die Presse, um mit den Worten “Ich habe verstanden, ich habe zugehört”, die Märkte zu beruhigen. Vergeblich.

Am 14. Oktober feuert Truss Finanzminister Kwarteng und ernennt Ex-Außenminister Hunt zum neuen Schatzkanzler. Dieser Posten gilt als zweitwichtigstes Amt im Königreich. Hunt kündigt an, alle Steuererleichterungen zurückzunehmen, um das Chaos zu beenden. Sechs Tage später wird Truss in der wöchentlichen parlamentarischen Fragestunde ausgebuht. Doch einen Rücktritt schließt die Politikerin aus.

Dafür wirft Innenministerin Suella Braverman nach einem Streit über die Einwanderungspolitik zurück. Nachdem eine Parlamentsabstimmung über das Verbot von Fracking aus dem Ruder gerät, die Truss nur knapp zu ihren Gunsten gewinnen kann, rechnet kaum ein Politikbeobachter mehr mit dem Verbleib von Lisa Truss. Einen Tag später, am 20. Oktober 2020 verkündet sie ihren Rücktritt.

In Deutschland undenkbar

Betrachtet man den Verlauf, von Beginn der Amtszeit bis zum Tod der Queen und der parteiinternen Querelen, so hatte Liz Truss kaum eine Chance. Ihr Rücktritt war daher nur folgerichtig. In Deutschland wäre so etwas undenkbar. Zwar ist Kanzler Scholz möglicherweise in einen millionenschweren Skandal verwickelt, dennoch sitzt er fest im Sattel. Zu Obrigkeitshörig ist seine Partei, zu machtverliebt sind seine Koalitionspartner. Im Vereinigten Königreich wäre Scholz längst nicht mehr im Amt.

Sie kleben an der Macht, weil man sie kleben lässt. Der Deutsche liebt Beständigkeit und die bekommt er mit einem Mittelmaß an Politikerdarstellern, denen nichts wichtiger ist als ihr eigener parlamentarischer und ministerialer Fortbestand. Sie verwalten sich selbst und sind auf sich sogar noch stolz. Dass das Land währenddessen fähige Politiker braucht, die den Mut haben, auch auf die Gefahr hin, dass es der eigenen Karriere schadet, das Richtige zu tun, interessiert sie nicht. So werden in Deutschland aus 45 Tagen im nu 16 Jahre.

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Klaus Kelle, Chefredakteur