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Russisches Fake News-Trommelfeuer

Warum Selenskyj natürlich weiter der rechtmäßige Präsident der Ukraine ist

KLAUS KELLE
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj

Der Zynismus, mit dem Russlands Kriegspräsident Wladimir Putin, seine Weltsicht offen darlegt, ist selbst für diejenigen, die von dem Mann nichts Gutes mehr erwarten, bisweilen atemberaubend.

Zum Beispiel, wenn er gestern die Legitimität der Regierung des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj gleich ganz in Frage stellt, weil dessen Amtszeit bereits im Mai vergangenen Jahres turnusmäßig endete. Putin lehnt es mit dieser Begründung ab, Friedensverhandlungen unter Beteiligung Selenskyjs überhaupt führen zu wollen.

Dabei ist Selenskyjs Legitimität durch die ukrainische Verfassung absolut gedeckt.

Denn durch Russlands Angriffskrieg ist inzwischen etwa ein Fünftel des Landes mehr oder weniger unter russischer Kontrolle, in viele Regionen wird auch heute um jeden Meter Boden gekämpft, wird bombardiert, gemordet, zerstört und vergewaltigt. Wie soll Kiew unter diesen Umständen eine demokratische Wahl abhalten?

Das ukrainische Parlament, die Werchowna Rada, hat nach dem russischen Einmarsch aufgrund des Kriegszustands das Kriegsrecht beschlossen. Es hat seitdem auch mehrfach immer wieder darüber abgestimmt, ob dieses verlängert wird. Ein absolut demokratischer Prozess.

Auch rechtsstaatlich sei das in der Ukraine „vorbildlich geregelt“, bewertet das Otto Luchterhandt, Ostrecht-Experte und emeritierter Professor der Universität Hamburg. Das Parlament sei „voll in der politischen und verfassungsrechtlichen Verantwortung und Befugnis“, weil es sowohl entscheidet, ob der Kriegszustand verhängt oder verlängert wird als auch über die genaue Dauer nach Tagen und Monaten.

Übrigens, das Kriegsrecht in der Ukraine, wurde – anders als die zahllosen prorussischen Fake News-Portale suggerieren – nicht unter Selenskyj beschlossen. Es besteht in der heutigen Form seit 2015, als es nach der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim durch russische Söldner, ausgerufen wurde. Ukrainischer Präsident war damals Petro Poroschenko. „Das hatte mit Selenskyj 2015 überhaupt nichts zu tun“, sagt Luchterhandt.

Doch zurück zur aktuellen Rechtslage, die übrigens international überall anerkannt wird – außer im Kreml und bei einer Handvoll Satellitenstaaten natürlich. Die ukrainische Verfassung bestätigt, mehrfach bekräftigt durch Parlamentsbeschlüsse, dass Selenskyj weiter rechtmäßiger Präsident ist, so lange das Kriegsrecht nicht vom Parlament aufgehoben wird.

Was ist daran nicht zu verstehen?

„Rechtlichen Grundsätze von demokratische Wahlen, wie sie die ukrainische Verfassung und auch internationale Standards fordern, können im Krieg nicht eingehalten werden“, sagt die Rechtsexpertin Caroline von Gall von der Goethe-Universität Frankfurt/M. Wenn geheime und freie Wahlen stattfinden sollen, muss es möglich sein, einen Meinungsstreit in der Gesellschaft zwischen konkurrierenden Parteien und Kandidaten zu organisieren. Wie soll denn die Ukraine im Donbass, in Luhansk oder Mariupol freie Wahlen abhalten lassen? Einen Wahlkampf mit TV-Debatten und Wahlkundgebungen? Wenn Hunderttausendende Männer im Krieg zur Verteidigung ihre Landes kämpfen.

Und ein russischer Präsident kritisiert die Legitimität des Präsidenten Selenskyj? Putin hätte selbst nur zweimal als Präsident der Russischen Föderation gewählt werden können, inzwischen regiert er in einer vierten Amtszeit. Die Wahlen in Russland sind seit Jahren eine Farce, aussichtsreiche Herausforderer wie in der Vergangenheit Michail Chodorkowski oder Alexej Nawalny werden von Wahlen ausgeschlossen, eingesperrt oder sterben auch mal eines plötzlichen Todes. Der Mann, der selbst für diese Zustände verantwortlich ist, will nicht mit Wolodymyr Selenskyj verhandeln? Wenn es nicht so traurig wäre, müsste man schallend lachen. Aber schlimmer ist eigentlich noch, dass heute in Deutschland so viele Menschen bereit sind, auf die putinschen Desinformationskampagnen bereitwillig aufzuspringen. Auch das ist aktiver Teil der hybriden Kriegsführung, die Moskau gegen Deutschland und Europa führt.

 

 

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Klaus Kelle, Chefredakteur