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Bauern-Proteste gegen die EU-Agrarpolitik – einmal wurde sogar geschossen

ARCHIV – Die europäische Statistikbehörde Eurostat legt eine zweite Schätzung zum Wirtschaftswachstum fürs erste Quartal vor. Foto: Jens Kalaene/dpa-Zentralbild/dpa

von MARTIN D. WIND

AMSTERDAM  – Die Regierung der Niederlande darf derzeit die Suppe auslöffeln, die ihr die EU-Kommission unter Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen eingebrockt hat: Tausende niederländische Landwirte gehen derzeit auf die Straßen. Sie sind der Meinung, dass normaler Widerspruch, sach- und fachgerechte Argumentation, verzweifelte Bitten und Apelle an die Vernunft, gegen eine ideologisch agitierende Regierung nicht helfen. Nun scheint es so weit. Was in Frankreich schon vor etwa einem Jahr ansatzweise zu erkennen und befürchten war, ist in den Niederlanden eingetreten: Ein Land innerhalb der

EU steht am Rande eines Bürgerkrieges. Erst gerade hatteein Polizist in den Niederlanden sogar auf einen 16-jährigen Landwirt geschossen, der aus einer Kolonne mit Traktoren ausgeschert war, weil er nach Hause wollte. Für die Beamten eine „bedrohliche Situation“, zum Glück gab es keine Verletzten.

Die Regierung der Niederlande sieht sich gezwungen, die Vorgaben der EU-Kommission zur Stickstoff- und Ammoniakeintragsminderung in die Umwelt umzusetzen. Wie auch in Deutschland, schieben die Verantwortlichen in Den Haag allein der Landwirtschaft den schwarzen Peter zu: Landwirte müssen in den Niederlanden innerhalb kürzester Zeit zwischen 12 und 95 Prozent ihres bisherigen Stickstoffeintrags in die Natur mindern. Wer sich dazu nicht in der Lage sieht, muss seinen Viehbestand töten, die Landwirtschaft aufgeben und sich verpflichten, nie wieder landwirtschaftlich tätig zu werden. Andernfalls wird ohne Entschädigung enteignet.

So weit ist man in Deutschland noch nicht, auch wenn die Ministerien unter wechselnden Regierungen daran arbeiten, eine effiziente Landwirtschaft unmöglich zu machen. Noch gut in Erinnerung ist die Debatte um die Produktion backfähiger Getreide in Deutschland, die ohne ausreichende Düngung nur unter guten Wetterbedingungen möglich ist. Doch auch in Deutschland darf flächendeckend nur noch 20 Prozent unter Nahrungsbedarf der Ackerpflanzen gedüngt werden. Die Pflanzen hungern und kümmern, sie können keine gute Ernte liefern: Das Getreide landet im Futtertrog oder in der Alkoholherstellung. Immerhin ist das noch möglich. In den Niederlanden aber zeigt sich, wie enthemmte Politik in Staaten der EU inzwischen mit der Bevölkerung verfährt.

Kleine und mittelständische Landwirtschaftsbetriebe werden in den Niederlanden so in den Ruin getrieben. Große Agrarunternehmen oder auch Landgrabber wie z. B. „Rewilding Europe“, sogenannte Umweltschutzverbände wie in Deutschland z. B. der Naturschutzbund Deutschland (NABU), Greenpeace oder der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) stehen bereit, um die Not der Landwirte auszunutzen und günstig an Land zu kommen. Es ist brutales, obrigkeitliches Vorgehen und die Landwirte wehren sich mit tätlichem Widerstand.

Dabei ist allen in den Niederlanden klar, dass sich etwas ändern muss. Das Land mit der Größe Nordrhein-Westfalens und mit einer der höchsten Bevölkerungsdichten weltweit, ist neben den USA größter Agrarexporteur. Ein durchschnittlicher Mastbetreib in den Niederlanden bringt rund 6000 Schweine pro Stall zur Schlachtreife. Dabei kommen die Futtermittel für die Milch- und Eierproduktion sowie auch in der Mast, nicht aus den Niederlanden. Die wertvollen Ackerflächen werden direkt zum Obst- und Gemüseanbau genutzt, Futtermittel werden importiert. Ihre Investitionen in Effizienz und Technisierung würden die Landwirte gerne dazu nutzen, den Düngeauflagen der EU gerecht zu werden. Aber die Regierung lässt ihnen keine Zeit. Man setzt den Bauern das Messer an den Hals.

Seit mehr als einer Woche probt man den Aufstand. Bisher läuft der Widerstand gegen die Regierung recht glimpflich ab. Allerdings sind Methoden, die schon aus Frankreich bekannt sind, durchaus als probate Vorgehensweise akzeptierter als unter deutschen Landwirten: In den vergangenen Tagen wurden Verkehrsadern mit Traktoren blockiert, Verteilzentren einer Handelsgesellschaft wurden isoliert und vom Verteilerverkehr abgeschnitten. Schon Ende Juni waren die Bauern mit Traktoren durch eine Sicherheitssperre der Polizei gebrochen und hatten vor dem Wohnhaus der niederländischen Umweltministerin ein Fass Gülle entleert, Polizeiautos unter Stroh begraben oder mit Stroh befüllt. Die Lage ist deutlich eskaliert, die Polizei spricht von „bedrohlich“.

Bei der politischen Beurteilung der Situation wird vergessen, dass auch die Landwirte die Lage als „bedrohlich“ empfinden. Immerhin dräuen bis zu 40 Prozent aller niederländischen Viehhalter das wirtschaftliche Ende ihrer Höfe. So kündigen sie weiteren Widerstand gegen die Regierung und deren Vorgehen an. Dabei schrecken Sie nicht mehr vor der Blockade großer Infrastruktureinrichtungen, wie Flughäfen, Bahnhöfen und Lebensmittelverteilungszentren zurück. Unterstützt werden sie von Fischern, die Häfen blockieren und vom Transportgewerbe, das auf Autobahnen und Landstraßen die Geschwindigkeit drosselt und den Warenverkehr fast zum Erliegen bringt.

Die Entwicklung ist interessant und sie lenkt die Aufmerksamkeit auf das, was sich hier in Deutschland ereignen wird: Auch hier geben sich die Bundesregierung, der Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (GRÜNE) und der Umweltminister, Frau Steffi Lemke (GRÜNE), trotz drohender Lebensmittelengpässe unter anderem wegen Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine, hartleibig.

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Klaus Kelle, Chefredakteur