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Reicht kurzer Dschungel-Ruhm fürs Überleben in den folgenden 50 Jahren?

Das „Dschungelcamp“ von RTL ist Grimme-Preisträger.

von THILO SCHNEIDER

ESSEN – Ich möchte Sie heute in eine Welt entführen, die Sie vielleicht nicht kennen. In eine Welt der Dummheit, der Schamlosigkeit, der hemmungslosen Selbstdarstellung und der ordinären Zurschaustellung von Geschlechtsteilen. Und ich rede hier nicht von einem Grünen-Parteitag. Sondern dem Dschungel des Privatfernsehens, in dem berühmte Menschen wie Djamila Rowe, Lucas Cordalis oder Gigi Birofio zu Recht in den australischen Dschungel (sic) gekarrt werden, um sich dort beim Madenessen abfilmen zu lassen. Sie kennen keine und keinen der Genannten? Macht nichts. Ist eh nur Kamerafutter für schlechten Geschmack und die Maden haben Sie sowieso demnächst in Ihren Spaghetti.

Zur Story

Jill Lange ist eine weltberühmte Influencerin und hat auf Instagram 234.000 Follower. Das sind Menschen, die sich dafür interessieren, was die 22-Jährige mit Geschmacklos-Tattoos aus der Kreisstadt so den lieben langen Tag treibt und welches Haarshampoo sie benutzt. Diese Berühmtheit hat Jill Lange dazu gebracht, in den Privatsendern an „Dating-Shows“ wie „Ex on the Beach“ oder „Are you the One“ oder sogar „Are You The One V.I.P.“ ihre sekundären Geschlechtsmerkmale herumzuzeigen. Und sich mit einem ebensolchen Philosophieprofessorens wie sie selbst, einem gewissen Lars Maucher mit der Statur einer Ikea-Schrankwand und ebenfalls in den obengenannten Formaten als Typ „cooler Ficker“ unterwegs, wenigstens offiziell zu verpaaren.

Nachdem nun aber die gute Jill selbst für das dämliche „Dschungelcamp“ noch zu unprominent war, hat RTL sie in die pseudolustige Geblöke-Schmiede „Deutschland sucht den Superstar“ geworfen, in der sie beweisen soll, dass sie nicht nur grauenhaft tätowiert ist, sondern auch nicht richtig gut singen kann. Sowas gibt Follower auf Insta.

Nun saß da jedoch in der Jury ein böser alter weißer Mann, Mehrfachmillionär und selbst zu 100 Prozent heterosexuell, bei dem auch keine Kerben mehr auf den Bettpfosten passen.

Sie alle kennen und lieben ihn, wenn er nicht gerade für irgendeinen Migrantenstadl hässliche Musik an der Heimorgel programmiert: Dieter Bohlen (68). Dem trat nun jenes scheue Rehlein ausnahmsweise mal nicht im knappen Bikini entgegen und Dieter Bohlen köpfte ihr wohl ohnehin fragiles Selbstbewusstsein mit nur zwei Fragen: „Hast du irgendwas Normales gemacht? Oder hast du nur Abi und dich durchnudeln lassen?“

#Aufschrei! #Metoo! #Sexismus! #DieterwirwissenwoDeinHauswohnt!

Die Gemeinschaft der Dummen ist entsetzt. Von BILD bis WELT, von Süddeutsche bis Frau am Herd – alle empören sich über den zutiefst verletzenden und sexistischen Kommentar des 68-jährigen Poptitanen, der mutmaßlich immer noch Fleisch isst und keinen Elektroroller fahren will. Was erlaube? How dare you? Eine einfache junge Frau aus den Pseudopornoformaten danach fragen, ob sie mehr kann, als sich durchnudeln zu lassen? Und möglicherweise ja nicht einmal…aber lassen wir das…

Sehen wir den Tatsachen ins Auge: Der Spruch mag sexistisch gewesen sein und wahrscheinlich hätte uns Dieta das den wohl ebenso gebildeten Partnerlappen mit den aufgepumpten Ärmchen nicht gefragt. Tatsächlich aber steckt in der Frage Dieter Bohlens viel mehr, das die Bodensatz-Jugend jedoch nicht hören will.

Denn die Frage ist berechtigt: Jill Lange mag heute 22, tätowiert und auf eine bestimmte Klientel von Kunststudierenden sexuell anziehend wirken. Nur geht dieses Spiel bis zum ersten Mal „nicht aufgepasst“. Auch die Schwerkraft wird in den nächsten 15 Jahren zuschlagen und was wird die derzeit „gut gebaute“ Jill dann machen? Den Bausparvertrag für die nächste Bruststraffungs-OP auflösen? Gemeinsam mit ihrem Lauch Schlagzeilen über Ehekrisen fabrizieren und das Boot fahren, mit dem die Privatsender ihre „Promis“ von der Insel der Dummen holen? Wird sie, völlig ahnungslos, eine Kneipe auf Mallorca aufmachen, abends im Biersepp vor besoffen grölenden Primaten die langsam der Erdanziehung folgenden Brüste präsentieren und Lieder singen, in denen das einzige Reimwort auf „Kotze“ vorkommt?

Die Frage ist also durchaus berechtigt, denn sie sagt im Grunde: „Du bist nichts, Du hast nichts, Du kannst nichts und wenn Du nicht gerade in mexikanischen „Liebesfilmen“ die Hauptrolle haben wirst, wirst Du irgendwann eine tätowierte Frau ohne nennenswerte Fähigkeiten sein, den eigenen Lebensunterhalt zu bestreiten.“

Die ehrliche Antwort von Jill Lange wäre gewesen: „Nein, bisher habe ich mich tatsächlich nur von irgendwelchen mies vollgemalten Honks aus der Hafenstrasse des Privatfernsehens durchnudeln lassen, aber mein Plan ist es, bis 30 hoffentlich so viel Kohle zu scheffeln, dass ich in den folgenden 50 Jahren gut davon leben und mir einen Hund kaufen kann und nicht im Plattenbau vegetieren muss.“

Denn genau so läuft das Spiel. Viel sexistischer als die Aufregung um die beiden Fragen ist nämlich das Privatfernsehen, das die Illusion vermittelt, man bräuchte nur mit den Geschlechtsteilen zu wackeln, um reich und berühmt und ansonsten völlig leistungslos zum „Star“ zu werden, der irgendwann madenfressend im „Schungelkämp“ (Grimme-Preis-Award) zu enden, um der bittersten Not zu entgehen. Frauen wie Jill Lange lassen sich im Privatfernsehen aus dem Automaten ziehen. Dumme Frauen (und Männer), die sich für ein paar Euro für zehn Minuten Fame fürs Fernsehen prostituieren, gibt es da draußen auf den Inseln der Doofen wie Sand in der Kimme. Und wenn Jill Lange nicht mehr mit den Brüsten wackelt – ja mei, dann kommt eben die nächste Uschi Klöbner vorbei. Jill Lange kann dann endlich das Philosophie-Studium anfangen. Auf der Youtube-Uni oder in der Schule des Lebens.

Sie dürfen jetzt zurück zu Hölderlin und den wirklich wichtigen Themen des Lebens.

(Weitere abgenudelte Altmänner-Geschichten des Autors unter www.politticker.de)
Von Thilo Schneider ist in der Achgut-Edition erschienen: The Dark Side of the Mittelschicht, Achgut-Edition, 224 Seiten, 22 Euro.

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Klaus Kelle, Chefredakteur